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Wie viele Flüchtlinge kommen noch über das Mittelmeer?

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UNHCR: Jeder 45. Migrant ertrinkt bei Überfahrt

Quelle: BILD / Frontex
1:28 Min.

Eine deutsche Kapitänin bringt 40 Migranten unerlaubt nach Italien. Und wird dafür von den italienischen Behörden festgenommen, weil sie Recht gebrochen aber Leben gerettet hat.

Fakt ist: Durch den jüngsten Einsatz von „Sea-Watch“ ist die Debatte über Rettungsmissionen im Mittelmeer neu entbrannt.

Im Rampenlicht steht die deutsche „Sea-Watch“-Kapitänin Carola Rackete, die mit einem waghalsigen Manöver die offene Konfrontation mit Italien gewagt hatte. Trotz eines Verbots steuerte die 31-jährige ihr Rettungsschiff mit 40 im Mittelmeer geretteten Migranten in der Nacht zum Samstag in den Hafen der sizilianischen Insel Lampedusa. Sie wurde festgenommen.

Heute wird ein Ermittlungsrichter entscheiden, ob Rackete möglicherweise ausgewiesen wird.

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Der „Sea Watch-3“-Krimi wirft erneut ein Schlaglicht auf die Flüchtlinge, die übers Mittelmeer nach Europa kommen wollen.

Rackete steuerte eines der letzten Schiffe, das im Mittelmeer zwischen Libyen und Italien kreuzte, um Flüchtlinge auf hoher See zu retten. Die meisten Hilfsorganisation haben sich zurückgezogen. Auch staatliche Missionen gibt es aktuell nicht mehr, wie ein Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) gegenüber BILD bestätigte.

Wie viele Flüchtlinge kommen noch über die Mittelmeerroute, wer überwacht das Gebiet?

Deutlich weniger Flüchtlinge über die Seeroute

An dem Fall der „Sea Watch 3“ zeigt sich, dass das Mittelmeer immer noch eine Route für verzweifelte Flüchtlinge ist. Doch die Zahl hat deutlich abgenommen.

▶︎ In den ersten sechs Monaten dieses Jahres 2019 kamen laut UNHCR 26 388 Menschen über das Mittelmeer nach Europa. 584 starben. Zum Vergleich: 2015, das Jahr mit der höchsten Zahl, kamen in den gesamten zwölf Monaten mehr als eine Millionen (1 015877) und 3771 Menschen ertranken. Im Jahr 2018 waren es noch mehr als Hunderttausend (116 647) und 2277 Tote.

Zahlen des italienischen Innenministeriums zeigen: 2019 kamen bis zum 2. Juli 2784 Migranten in Italien an, davon im Juni 1223. Im Juni vor zwei Jahren waren es noch 23 526 gewesen.

Jeder 45. Migrant ertrinkt bei Fahrt über das Mittelmeer

Auch wenn die Zahlen im Vergleich zu den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen sind: Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) steigen die Risiken bei Fluchten über das Mittelmeer.

Im Jahr 2015 sei jeder 269. Mensch bei der Überfahrt gestorben, ein Jahr später schon jeder 71. und in diesem Jahr jeder 45., sagte Dominik Bartsch, UNHCR-Repräsentant in Deutschland, der „Rheinischen Post“.

Seit 2015 starben 14 867 Frauen, Männer und Kinder bei der Fahrt über das Mittelmeer. Bartsch sprach sich dafür aus, dass es mehr Seenotretter geben müsse, und fügte hinzu: „Ich erwarte, dass sich Italien an seine humanistische und auch nautische Tradition erinnert.“

Wie der Mittelmeerraum bewacht wird

Neben den Hilfsorganisationen, die in diesem Teil des Mittelmeerraums unterwegs waren, gibt es noch die europäische Marinemission „Sophia“. Die Operation war 2015 von der EU gestartet worden, um die Schleuserkriminalität zu bekämpfen und so die Migration aus Richtung Libyen einzudämmen.

In der Praxis wurde daraus vor allem ein Einsatz zur Rettung von Flüchtlingen, ohne dass sich die EU-Staaten bisher auf eine Verteilung der Menschen geeinigt haben. Die EU hatte im Juni beschlossen, den Marineeinsatz vor der libyschen Küste vorerst für sechs Monate zu beenden. Der Grund: Die Mitgliedstaaten konnten sich nicht auf ein neues System zur Verteilung geretteter Migranten einigen.

In Zukunft sollen die Aktivitäten von Schleusernetzwerken im Rahmen der Operation „Sophia“ bis auf Weiteres nur noch aus der Luft beobachtet werden.

▶︎ Deutschland hat sich seit Samstag aus der Mission zurückgezogen. Davor waren bereits deutsche Marineschiffe aus dem Einsatzgebiet vor der libyschen Küste abgezogen worden, auch weil deutsche Schiffe weit entfernt von den Flüchtlings- oder Schmugglerrouten fuhren und deshalb praktisch ohne Aufgabe waren. Koordiniert wird die Mission von Italien. Seit mehr als einem Jahr wurde kein einziger Flüchtling mehr von der deutschen Marine gerettet.

▶︎ Die italienische Küstenwache muss zwar Flüchtlinge, die in Seenot geraten sind, laut Völkerrecht aufnehmen, aber die Menschen in ihren kleinen Booten geraten schon oft weit vor der Küste in Seenot.

▶︎ Mehrere Flugzeuge der Mission „Sophia“ überwachen die Mittelmeerregion vor Libyen aus der Luft und melden auffällige Boote an die libysche Küstenwache und die Einsatzzentrale in Rom.

Schlepper arbeiten mit neuen Tricks

Italien hat strikt verboten, dass gerettete Flüchtlinge an Land gebracht werden dürfen. Nach Angaben des italienischen Innenministeriums sind allein in den vergangenen zwei Juni-Wochen rund 300 Migranten an Land gegangen.

▶︎ Frederico Fossi vom Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen in Rom sagte zu „Tagesschau.de“: „In Wirklichkeit gehen die Anlandungen weiter. Sie sind nicht sichtbar. Aber es gibt sie in großer Zahl, vor allem auf Lampedusa, aber auch auf der östlichen Route, von Griechenland und der Türkei aus, dann vor allem nach Kalabrien und Apulien.“

Die Schlepper haben ihre Tricks geändert. Statt mit kleinen Schiffen zu starten und dann auf hoher See gerettet zu werden, werden die Flüchtlinge jetzt immer öfter zu Hunderten in großen Schiffen unter Deck versteckt, um so möglichst in italienische Hoheitsgewässer zu kommen. Dann werden sie quasi in kleine, zum Beispiel Schlauchboote, umgeladen und gelangen so an die Küste.

Ähnlich wird es auch mit Jachten gemacht, auf denen Flüchtlinge versteckt werden. Die fallen nicht auf, weil im Sommer auf dem Mittelmeer viele Jachten von Urlaubern unterwegs sind.

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Flüchtlingsströme verlagern sich

Fakt ist aber auch, dass es weltweit so viele Flüchtlinge und Vertriebene wie nie zuvor in der fast 70-jährigen Geschichte des UN-Flüchtlingshilfswerks gibt. Ende vergangenen Jahres lebten 70,8 Millionen Menschen fern ihrer Heimat, die vor Gewalt, Konflikten, Verfolgung oder Menschenrechtsverletzungen geflohen waren, wie die Organisation berichtete. Das waren gut zwei Millionen Menschen mehr als noch ein Jahr zuvor.

Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge war im vergangenen Jahr im eigenen Land vertrieben. Fast 30 Millionen waren über Grenzen geflohen und vier von fünf kamen in Nachbarländern unter, nicht in Europa oder den USA. Die größte Bürde tragen laut UNHCR demnach nicht die westlichen Länder, in denen viele Politiker heute von einer Krise sprächen, die nicht mehr zu bewältigen sei.

Reiche Länder haben nach UNHCR-Angaben zusammen nur 16 Prozent der Flüchtlinge aufgenommen. Ein Drittel der Flüchtlinge weltweit habe Zuflucht in den ärmsten Ländern gefunden.

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