Politik

Hilferuf aus dem Erdogan-Knast!

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Zehntausende Erdogan-Krikter sitzen in der Türkei in Haft, Tausende davon warten auf einen Prozess.

Einer der größten Kritiker des türkischen Präsidenten Erdogan ist seit mehr als 160-Tagen in Untersuchungshaft: Eren Erdem (33), ehemaliger Abgeordneter des türkischen Parlaments und Mitglied des Parteivorstandes der größten Oppositionspartei CHP.

▶︎ BILD sprach exklusiv mit ihm über seine Haftbedingungen, was ihm vorgeworfen wird und was seine Inhaftierung mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan (64) zu tun hat.

Hintergrund: Erdem wurde am 29. Juni 2018 frühmorgens von der türkischen Polizei verhaftet. Der Zeitpunkt dabei ist besonders brisant: Bei den Wahlen am 24. Juni hatte Erdem den Wiedereinzug ins Parlament nicht geschafft und somit seine Immunität verloren.

Seitdem sitzt er im Gefängnis und wartet auf die Gerichtsentscheidung.

Forderung der Staatsanwaltschaft: Bis zu 22 Jahre Haft!

Der Vorwurf: Unter anderem soll Erdem die Gülen-Bewegung unterstützt haben. Es ist eben diese Bewegung, die Erdogan für den mutmaßlichen Putsch im Juli 2016 verantwortlich macht.

BILD: Sie sind seit über 160 Tagen im Gefängnis. Wieso wurden Sie verhaftet?

Eren Erdem: „Ich war zwei Legislaturperioden als Abgeordneter tätig und bin immer noch im Parteivorstand der größten Oppositionspartei CHP. Ich wurde am 29. Juni mit der Begründung, dass ich „ohne Mitgliedschaft Unterstützung geleistet“ hätte, festgenommen. Aber: In der Prozessakte wird kein einziger Beweis dafür aufgeführt, außer einem „geheimen“ Zeugen, der mich beschuldigt. Allerdings: Dieser Zeuge hat beim ersten Gerichtstermin ausgesagt, dass er zu seiner Aussage gezwungen wurde.“

Der Zeuge hat öffentlich davon gesprochen, Sie unter Druck fälschlicherweise beschuldigt zu haben?

Erdem: „Ja! Dieser anonyme Zeuge hat ausgesagt, dass er von einem regierungsnahen Journalisten zu einem Staatsanwalt gebracht wurde, der ebenfalls regierungsnah ist. Dieser Journalist soll ihn gezwungen haben, Lügen über mich zu verbreiten. Er hat ihm sogar einen Zettel gegeben, auf dem steht, was genau er aussagen soll. Er soll damals unter starken Depressionen gelitten haben, habe sogar an Suizid gedacht. Das sagte er so vor Gericht aus. Trotzdem hat der Richter entschieden, dass meine Gefangenschaft fortgeführt werden soll.“

Sie sind also obwohl der Zeuge seine Aussage zurückgezogen hat immer noch in Haft?

Erdem: „Als der Zeuge seine Beschuldigungen zurückgezogen hat, waren der Richter und der Staatsanwalt erstmal geschockt, weil sie den Auftrag von der Regierung hatten, mich nicht freizulassen. Aber ohne den Zeugen hatten sie nichts mehr gegen mich in der Hand. Daraufhin hat der Richter sich entschieden, vier weitere Zeugen aufzutreiben. Und damit ich mit ihnen keinen Kontakt aufnehmen kann, wurde angeordnet, mich weiter in Isolationshaft zu halten. Das ist absurd!“

Haben Sie denn mit der „Gülen-Bewegung“ etwas zu tun?

Erdem: „Nein! Im Gegenteil! Ich habe in der Türkei neun Bücher geschrieben und veröffentlicht, die sich sehr kritisch mit der Gülen-Bewegung auseinandersetzen. Als diese Bewegung in der Türkei noch stark war, wurden meine Bücher verboten und ich wurde mehrmals von der Gülen-Bewegung angeklagt. Deswegen habe ich auch in meiner Verteidigung zehn Stunden lang ausgesagt, was ich über diese Bewegung alles Kritisches geschrieben habe. Ich habe nicht nur gegenüber den Gülenisten eine Distanz, sondern gegenüber allen religiösen Strukturen dieser Art. Deswegen steht auch in der Anklage das ich „kein Mitglied“ sei, sondern sie nur ‘unterstütze‘ . “

Aber wieso wurden Sie dann aus diesem Grund verhaftet?

Erdem: „Die Regierung nutzt die Anschuldigung, die Gülen-Bewegung zu unterstützen, so gut wie immer. Jeder kann als Mitglied dieser Bewegung bezeichnet werden. Jeder der gegen Erdogan ist, wird aus diesem Grund verhaftet. Als ich Abgeordneter war, habe ich im Parlament Dokumente vorgelegt, die zeigen, dass die türkische Regierung (Anm. d. Red: An der Macht war auch damals die Partei AKP, also die Partei von Recep Tayyip Erdogan) die Terrororganisation ISIS unterstützt. Daraufhin hat mich Erdogan tagelang als „Vaterlandsverräter“ beschuldigt. Drei Jahre lang wurde ich beleidigt und stand unter Polizeischutz. Da sie mir nichts anhängen konnten, hat diese Regierung schließlich einen ‘geheimen‘ Zeugen erfunden.“

Sie sind seit mehr als 160 Tagen in Haft, wie geht es Ihrer Familie damit?

Erdem: „Meine Familie ist in Berlin. Mein Sohn, der vier Jahre alt ist, kam in Berlin auf die Welt und meine Frau stammt aus Berlin. Die Regierung hat den Pass meiner Frau gesperrt. Wenn Sie in die Türkei einreist, darf Sie nicht mehr ausreisen. Deswegen habe ich meine Frau und meinen Sohn seit über 160 Tagen nicht gesehen. Das ist Folter! Ich befinde mich in einer Isolationshaft und kann meine Familie nicht sehen. Es gibts keinen einzigen Beweis, Belege oder irgendwas. Das ist ein Prozess, der von Erdogan persönlich initiiert wurde. Das Gericht hat meine Telefonate abgehört und nichts gefunden. Das was ich hier erlebe, ist Alltag in der Türkei. Regierungs-Kritiker werden einfach ohne Beweise, Prozess und Urteil weggesperrt, um sie damit mundtot zu machen. Es gibt keine Justiz, deswegen sehe ich derzeit auch kein Ende meiner Haft.“

Ist die Türkei noch eine Demokratie?

Erdem: „Meine Prozessakte ist da und wer sie haben möchte, dem schicke ich sie gerne zu. Spätestens nachdem der Zeuge seine Aussage zurückgezogen hat, haben ALLE – nicht nur meine Unterstützer –damit gerechnet, dass ich freikomme. Aber ich bin immer noch eingesperrt. In der Türkei gibt es keine Justiz, Verfassung und Gesetz. Die Türkei ist zu einem „Ein-Mann-Diktator-System“ geworden. Wie kann ein Land eine Demokratie sein, die ihre eigenen Abgeordneten mit Lügen und Betrug einsperrt?“

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