Politik

Als 37 Frauen insParlament einzogen

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Solch einen Satz wie Constantin Fehrenbach, Präsident der Nationalversammlung, ihn am 19. Februar 1919 den 423 Volksvertretern zurief, hatte niemand zuvor in Deutschland gesagt: „Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Juchacz.“ Erstmals in der Geschichte war es einer Frau gestattet, in einem frei gewählten deutschen Parlament zu sprechen.

Marie Juchacz (1879 bis 1956) begann ihre etwa vier Minuten dauernde Rede so: „Meine Herren, meine Damen …“ Das Protokoll verzeichnete „Heiterkeit“. Davon ließ sich die kämpferische Sozialdemokratin nicht aus dem Konzept bringen.

Die geschiedene Mutter zweier Kinder stellte fest, „dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinn Dank schuldig sind. Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist …“

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Im Kaiserreich durften nur Männer wählen und gewählt werden. Die Hauptaufgabe der Frauen, so hatte es Kaiser Wilhelm II. (1859 bis 1941) bestimmt, liege „in der stillen Arbeit im Hause und in der Familie“.

Der preußische Innenminister Hans von Hammerstein (1843 bis 1905) war überzeugt, wegen ihrer „leichten Erregsamkeit“ sollten Frauen „nicht in politischen Versammlungen mitreden“.

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Das änderte sich erst nach dem Ersten Weltkrieg. In der neuen Nationalversammlung saßen 423 Abgeordnete, davon 37 Frauen. Sechs dieser Politikerinnen spielten auch 30 Jahre später nach der Nazi-Diktatur und dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Bundesrepublik wichtige Rollen.

► So wie Marie Juchacz. Im Dezember 1919 gründete sie die Arbeiterwohlfahrt (Awo), saß bis 1933 als Abgeordnete im Reichstag und stimmte mit ihren Genossen gegen das Ermächtigungsgesetz, das Reichskanzler Adolf Hitler (1889 bis 1945) das Regieren am Parlament vorbei ermöglichte. Kurz darauf ging sie ins Exil. 1949 kehrte Juchacz aus den USA zurück und kümmerte sich um den Wiederaufbau der Awo.

„Ich begrüße […], dass in Zukunft den Frauen auch Gelegenheit gegeben sein wird, mit in alle offen­stehende Ämter einzutreten.“
Marie Juchacz (* 15. März 1879; † 28. Januar 1956), 1919 damals 39 Jahre , Frauenrechtlerin.

► Auch Juchacz’ SPD-Genossin Frieda Haucke (1890 bis 1972), die bis 1922 dem Reichstag angehörte, gelang ein kurzes politisches Comeback in der zweiten deutschen Republik. 30 Jahre nach ihrer Wahl in die Nationalversammlung entsandte ihre Partei sie in die erste Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten.

► Heuss’ Parteifreundin Marie-Elisabeth Lüders (1878 bis 1966), Mitbegründerin der linksliberalen DDP und bis 1932 Mitglied im Reichstag, trat nach dem Krieg der FDP bei und war acht Jahre lang Mitglied des Deutschen Bundestags. Als Alterspräsidentin leitete sie 1953 die erste Sitzung der zweiten Legislaturperiode. Eigentlich stand Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876 bis 1976) diese Ehre zu, doch er verzichtete. Die nach ihr benannte „Lex Lüders“ regelt die rechtliche Stellung von Frauen, die mit Ausländern verheiratet sind.

Wir müssen das männ­liche Kampfbild um den unentbehrlichen ­Kamerad Frau ­ergänzen.“
Marie-Elisabeth Lüders (* 25. Juni 1878; † 23. März 1966) 1935, damals 57 Jahre , Frauenrechtlerin

Louise Schröder (1887 bis 1957), eine von 22 weiblichen SPD-Abgeordneten der Nationalversammlung und bis zu Beginn der Hitler-Herrschaft 1933 Mitglied des Reichstags, überstand das Dritte Reich als Bäckerei-Verkäuferin. Nach dem Krieg machte sie zunächst in Berlin und später in Bonn Karriere. Im Frühjahr 1947 übernahm sie während der Blockade durch die Sowjets für wenige Wochen kommissarisch das Amt des Berliner Oberbürgermeisters bevor sie 1949 bis zu ihrem Tod 1957 als Abgeordnete im Deutschen Bundestag wirkte. Zwei Monate vor ihrem Tod wurde sie Ehrenbürgerin Berlins, als erste Frau seit 150 Jahren.

„Wir haben kein Recht, uns zu beschweren, wenn die Not junge Menschen auf die Straße, zur Prostitution, zum Diebstahl und zum Schwarzmarkt treibt.“
Louise Dorothea Sophie Schroeder (* 2. April 1887; † 4. Juni 1957), 1948 damals 61 Jahre, kommissarische Bürgermeisterin von Berlin.

► Einmalig in der Geschichte ist der Lebensweg von Helene Weber (1881 bis 1962). Die katholische Studienrätin aus dem pietistisch geprägten Elberfeld, heute ein Stadtteil Wuppertals, wirkte am Entwurf von beiden deutschen demokratischen Verfassungen mit: 1919 als Abgeordnete der Zentrums-Partei an der Verfassung der Weimarer Republik und nach dem Zweiten Weltkrieg ab 1948 als CDU-Mitglied im Parlamentarischen Rat am Grundgesetz der Bundesrepublik. Zusammen mit den drei anderen „Müttern des Grundgesetzes“ kämpfte Weber dafür, den Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ (Artikel 3 Absatz 2) in die Verfassung aufzunehmen.

Männer und Frauen sind gleich­berechtigt.

Christine Teusch (1888 bis 1968) war 1919 Mitglied der Nationalversammlung fürs Zentrum und anschließend bis zur Selbstauflösung ihrer Partei im Juli 1933 Reichstagsabgeordnete. Das Dritte Reich überstand die Kölner Lehrerin in einem Kloster in Arnsberg. Nach dem Krieg trat sie in die CDU ein und wurde 1947 gegen den Widerstand von Konrad Adenauer, damals CDU-Vorsitzender in der britischen Besatzungszone, zur Kultusministerin in Nordrhein-Westfalen berufen.

Heiliger Vater, Minister in Deutschland zu sein ist schwer, Kultusminister noch schwerer, aber Frau Kultusminister am Rhein zu sein am allerschwersten.

Obwohl sich die Frauen die Gleichberechtigung erkämpft hatten, sank ihr Anteil im Reichstag der Weimarer Republik von 8,7 auf zuletzt 3,8 Prozent. Vergeblich hatte die Chansonsängerin Claire Waldoff (1884 bis 1957) im Jahr 1926 geschmettert: „Rrraus mit’n Männern aus’m Reichstag. Und ’raus mit’n Männern aus’m Landtag. Und ’raus mit’n Männern aus’m Herrenhaus. Wir machen draus ein Frauenhaus.“

Auch der Deutsche Bundestag ist mehrheitlich ein Männerhaus. Von 709 Volksvertretern sind nur 219 Volksvertreterinnen, 30,9 Prozent.

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