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Vater droht Prügel an – Streit um Elterntaxis eskaliert immer mehr

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Frankfurt: Immer mehr Erstklässler verunglücken nicht zu Fuß, sondern im Auto der Eltern. Das ist das Ergebnis einer neuen Untersuchung.

Nied – Wer sein Kind gestern früh mit dem Auto zum Unterricht in die Friedrich-List-Schule gebracht hat, wurde ausgepfiffen: Schüler und Lehrer protestierten gegen "Elterntaxis".

Der erste Vater hält mit seinem Auto vor den Kindern, die mit Trillerpfeifen und Transparenten gegen Elterntaxis protestieren, mitten auf der engen Heusingerstraße. Dem Schulhausverwalter, der ihn anspricht, erklärt er erst großmäulig, dass er "drei Minuten halten darf, um etwas auszuladen", und droht ihm dann, während er seinem kleinen Sohn die Hintertür zum Aussteigen öffnet, Prügel an: Man könne "ja mal um die Ecke gehen." Da allerdings stehen zwei Polizisten des 16. Polizeireviers – und nehmen sich den Mann zur Brust.

Elterntaxis: Sie fahren dreist gegen die Einbahnstraße

Ein Mercedesfahrer mit Schiebermütze, vom Alter eher der Großvater des Kindes im Fond, sieht die Demo vor der Friedrich-List-Schule, fährt rückwärts in eine Seitenstraße, lässt das Kind aussteigen und brummt dann gegen die Einbahnrichtung der Heusingerstraße davon – zum Teil über den Schulweg-Bürgersteig, weil ihm ein Lieferwagen entgegenkommt. Die zwei Polizisten, die auf dieser Seite der Demo stehen, reagieren zu spät – ihnen war nicht bewusst, dass die Heusingerstraße Einbahnstraße ist.

Jagdszenen wie aus einem schlechten Film spielten sich gestern früh zwischen 7.30 Uhr und 8.30 Uhr vor der Grundschule in der Eisenbahnersiedlung ab. Die andauernde Gefährdung ihrer Schüler durch Autofahrer, die meinen, ihr Kind mit dem Wagen zur Schule bringen zu müssen, hatte Schulleiterin Nicole Karrock dazu veranlasst, eine Demo gegen die Elterntaxis zu organisieren. Unterstützung gab's von der Verkehrswacht, dem Schulamt, dem Automobil-Club Europa (ACE) – und den Anwohnern, die den Kindern fröhlich zuwinken, denn auch sie werden durch die Elterntaxis ständig behindert.

Gefahr auf dem Schulweg: Elterntaxis empfinden viele zunehmend als Bedrohung

"Ich lauf allein – Auto bleibt daheim" skandieren die Kinder und blasen ohrenbetäubend auf ihren Trillerpfeifen, wenn ein Elterntaxi kommt. Oft winken ihnen die Mitschüler auf dem Rücksitz fröhlich zu, während Papa oder Mama am Steuer meist versteinert nach vorne blickt und versucht, möglichst desinteressiert vorbeizufahren – um das Kind hinter der nächsten Ecke auszuladen.

"Wir haben das Thema ,Sicherer Schulweg' mit den Kindern im Unterricht behandelt, und sie haben auch die Schilder gemalt, wir haben aber niemandem außer dem Schulelternbeirat und dem Förderverein gesagt, dass wir heute demonstrieren", sagt Nicole Karrock, die seit Oktober 2016 die Geschicke der Friedrich-List-Schule lenkt.

Es seien nicht nur die Elterntaxis: Oft würden auch die schmalen Bürgersteige rigoros zugeparkt, so dass Kinder auf die Straße ausweichen müssten. Das gilt auch für die Straße Am Selzerbrunnen und andere in der recht engen Eisenbahnersiedlung.

Was auffällt: Die wenigsten der Kinder, die mit dem Auto zur Schule gebracht werden, sind auf dem Rücksitz angeschnallt.

Das passt zu einer aktuellen Untersuchung: Die meisten Erstklässler, die auf dem Weg in die Schule verunglücken, verunglücken in den Autos ihrer Eltern. Die Zahl der Schulweg-Unfälle in der Altersstufe ist im Vergleich zu vor zehn Jahren um rund 165 Fälle auf 464 Anzeigen im vergangenen Jahr gestiegen, hat die Unfallkasse Hessen auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur jüngst mitgeteilt.

"Die meisten Unfälle davon sind Unfälle im Auto ihrer Eltern – in den sogenannten Elterntaxis", sagte Sprecherin Sabine Longerich. Elterntaxis vermittelten nur eine trügerische Sicherheit.

Denn neben den Unfällen als Beifahrer gefährde die Kinder auch, dass sie ihr Verhalten als Fußgänger nicht mehr üben könnten, also nicht lernten, sich im Verkehr zurechtzufinden.

Allgemein nehmen die Schulwegunfälle ab – trotzdem sollten Kinder öfter laufen

Auf alle Altersstufen bezogen nimmt die Zahl der Schulwegunfälle aber seit Jahren ab. Im vergangenen Jahr verletzten sich der Statistik zufolge 5514 Kinder und Jugendliche in Hessen auf dem Weg zur Schule. Meldepflichtig sind alle Schulwegunfälle, die ärztliche Behandlung brauchen oder zum Tode führen.

Außerdem haben Mediziner festgestellt, dass Kinder, die zu Fuß zur Schule gehen, nicht nur fitter sind, sondern auch wacher – und dem Unterricht besser folgen können. Auch die Demo am frühen Morgen macht die Friedrich-List-Schüler hellwach.

Die Kinder, die gebracht werden, verziehen sich auf den Schulhof; die Fußgänger reihen sich stolz in die Schar der Mitschüler ein und rufen wie aus einem Mund: "Für den Schulweg nehmen wir die Füße – tschüss Elterntaxi, schöne Grüße!"

Helikoptereltern fahren ihren Nachwuchs nicht nur zur Schule, sondern auch zum Sport und zum Musikunterricht. Dabei geht es nicht unbedingt nur um die Sicherheit der Kinder, sondern vor allem auch um die Zeitoptimierung: Man kann halt morgens länger liegen bleiben, wenn die Kiddies nicht um Viertel nach sieben los müssen, sondern man eben erst um viertel vor Acht ins Auto springt. Dann geht es unter Zeitdruck durch morgendliche Staus zur Schule. Beim Abholen ist es genauso: Die Kinder lernen nicht, sich selbst zurechtzufinden – und sie bekommen nicht die Freiheit eingeräumt, ihr Umfeld selbst mit ihren Schulfreunden zu entdecken, mal zu trödeln, mal gespannt dem Feuerwehrauto nachzuschauen oder mit dem Holzstöckchen die dicke Spinne anzustupsen. Sie kommen auch nicht zu spät nach Hause, weil irgendetwas unterwegs spannender war. Ihr Leben wird für sie erledigt, nach Schema F – es geht darum, dass alles klappt, dass niemand querschießt, keine Experimente. Acht, neun oder zwölf Jahre nach ihrer Einschulung sollen diese Kinder dann plötzlich ihr Leben selbst in die Hand nehmen, sich um Ausbildung oder Studium kümmern, eigenständig sein. Woher sollen sie es denn dann können? Wir erziehen sie zu Unmündigen.

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