Wirtschaft

Anleger sind cool, Verbände schlagen Alarm

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Großbritannien ist einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands. Ein ungeordneter Brexit würde die Wirtschaft hart treffen.

Geschätzter Partner: Die Wirtschaft würde Großbritannien gern in der EU halten.

Auf die Brexit-Abstimmung haben die deutschen Anleger so reagiert, wie man es normalerweise den Briten nachsagt: cool. Der Deutsche Aktienindex Dax rückte kurz nach der Eröffnung am Mittwoch morgen sogar um 0,41 Prozent auf 10 936,34 Punkte vor, gab dann aber leicht nach. Das Pfund Sterling verteidigte seine Kursgewinne vom Dienstagabend und kostete 1,2876 Dollar, nur der Londoner Auswahlindex FTSE bröckelte ab.

Großbritannien ist Deutschlands fünftgroßer Handelspartner

Während die Märkte weitgehend ruhig bleiben, schlagen Wirtschaftsverbände Alarm. Immerhin ist Großbritannien Deutschlands fünftwichtigster Handelspartner. Das Handelsvolumen beträgt 122 Milliarden Euro, deutsche Unternehmen haben weit über 2000 Beteiligungen in Großbritannien. „Unternehmen diesseits und jenseits des Ärmelkanals hängen weiter in der Luft. Ein chaotischer Brexit rückt in gefährliche Nähe“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Joachim Lang. Es drohe eine Rezession in der britischen Wirtschaft, die auch an Deutschland nicht unbemerkt vorüberziehen würde. Jede Unklarheit gefährde Zehntausende von Unternehmen und Hunderttausende von Arbeitsplätzen in Deutschland und vor allem in Großbritannien.

Unternehmen müssen sich vorbereiten

Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag ist in Sorge. Die Unternehmen müssten sich jetzt verstärkt vorbereiten. „Ohne Abkommen droht der Brexit völlig ungeregelt abzulaufen“, sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer. Eine mögliche Verschiebung des EU-Austritts von Großbritannien um einige Wochen würde die Unklarheit wohl nur aufschieben, meinte Schweitzer. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) bezeichnete die Ablehnung des Brexit-Abkommens in London als „politisch fahrlässig“. Es drohten schwerwiegende Konsequenzen für Bürger und Unternehmen in Großbritannien und Europa, sagte VDA-Präsident Bernhard Mattes. „Ohne geordnete und praktikable Lösungen für den Wirtschaftsverkehr stehen auch Jobs in der Automobilindustrie, insbesondere auf der britischen Seite, auf dem Spiel“, betonte Mattes. Alle Beteiligten sollten jetzt daran arbeiten, einen ungeregelten Brexit noch abzuwenden. Vor diesem Hintergrund könne die Verschiebung des Austrittsdatums sinnvoll sein. Das sieht auch Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing so. Er rechnet damit, „dass man den Ausstieg um mindestens drei Monate verschieben wird“, wie er beim Neujahrsempfang der Deutschen Bank am Dienstagabend in Berlin sagte. „Denn auch die übrige EU würde bei einem harten Brexit einen halben Prozentpunkt ihrer Wirtschaftsleistung verlieren – zu groß wären die Verwerfungen für den Handel, die Finanzierungsbedingungen und das Vertrauen der Investoren.“

Milchbauern wollen keine irische Milch in Deutschland

Sollte Großbritannien die EU verlassen, ohne dass ökonomische Leitplanken eingezogen werden, könnten darunter auch Branchen leiden, an die man nicht vielleicht nicht als erstes denkt: die Milchbauern etwa. Sie befürchten, dass nach einem Brexit die Iren, die ihre Milch bislang vor allem an den britischen Nachbarn geliefert haben, nun verstärkt nach Deutschland drängen und die leichte Erholung auf dem Milchmarkt zunichte machen könnte. Der Einzelhandelsverband sorgt sich um die deutsche Konjunktur. Die Unsicherheiten könnten dazu führen, dass die Menschen weniger einkaufen, befürchtet der HDE.


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Ökonomen setzen auf Verhandlungen

Ifo-Präsident Clemens Fuest forderte Großbritannien und die EU auf, die Verhandlungen zu einem Brexit-Abkommen wieder aufzunehmen. „Ein harter Brexit mit seinen riesigen Kosten muss vermieden werden“, sagte Fuest. Beide Seiten sollten nun an den Verhandlungstisch zurückkehren und das Abkommen so anpassen, dass es für beide Seiten akzeptabel ist. „Alles andere wäre ein nicht akzeptables Politikversagen.“ Ifo-Forscher Gabriel Felbermayr zeigte allerdings Verständnis für die Ablehnung des Brexit-Deals durch das Unterhaus. „Das Nein der britischen Abgeordneten zum Trennungsabkommen ist absolut nachvollziehbar, weil es das Vereinigte Königreich auf den Status einer Handelskolonie herabstufen würde“. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) betonte, die Entscheidung des britischen Parlaments komme weder überraschend, noch habe sie die Wahrscheinlichkeit eines ungeregelten Brexits am 29. März 2019 substanziell erhöht. „Ich erwarte, dass ein wirtschaftliches Chaos verhindert wird, zum Beispiel durch Einzelabkommen für eine Übergangsphase“, sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Ein zweites Referendum, und somit ein Verbleib in der EU, sei sogar ein Stück wahrscheinlicher geworden. Sollte es zum „harten Brexit“ kommen, werde die deutsche Wirtschaft zwar getroffen, aber nicht übermäßig hart und nicht dauerhaft. „Deutsche Unternehmen haben immer wieder gezeigt, dass sie flexibel und schnell auf Schocks reagieren können“, betonte Fratzscher. mit rtr

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