Wirtschaft

Wie die Händler mit dem Aus der Plattform umgehen

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Der Berliner Online-Marktplatz Dawanda gibt auf. Wie es nun für die Händler weitergeht.

Dawanda-Verkäuferin Anne Heisig in ihrem Atelier

Seit rund zehn Jahren verkauft Anne Heisig allerlei handgefertigte Unikate über Dawanda: vom bestickten Nuckeltuch für Babys über bunte Nikolaussäckchen bis hin zur seidenen Schärpe für den Junggesellinnenabschied. Nun steht der Online-Marktplatz Dawanda vor dem Aus. Bereits am 30. August wird die Plattform komplett geschlossen. All die Händler seien plötzlich „in ein Loch geplumpst“, sagt Heisig. Die Zukunft scheint für viele von ihnen ungewiss.

Vor fast zwölf Jahren hatten Claudia Helming und Michael Pütz Dawanda in Berlin gegründet. Seitdem etablierte sich Dawanda als größter Online-Marktplatz für handgefertigte Produkte und Unikate in Deutschland. Obwohl das Unternehmen im letzten Quartal zum ersten Mal schwarze Zahlen schreiben konnte, sieht Gründerin Claudia Helming keine Zukunft für das Portal. Dawanda kämpfte zunehmend damit, technisch auf dem aktuellsten Stand zu bleiben. Auch die deutschsprachige Ausrichtung des Portals sorgte für immer größere Hürden. Eine Ausweitung der Do-it-yourself-Plattform über die deutschsprachigen Länder hinaus war nur mit großem Aufwand möglich. Alle Inhalte mussten übersetzt und an die jeweiligen Regularien der Länder angepasst werden. Der Berg an Schwierigkeiten wurde immer größer. Währenddessen wuchs die Konkurrenz aus den USA. Die Plattform Etsy, die einst als Vorbild von Dawanda galt, vergrößerte sich in den vergangenen Jahren unaufhaltsam – mit weniger sprachlichen Schwierigkeiten und einem größeren Markt im Rücken.

Dawanda-Konkurrent Etsy war zu groß

Claudia Helming bestätigt nun, dass aus eigener Kraft kein weiteres Wachstum von Dawanda möglich sei: „Darum müssen wir jetzt handeln – um unseren Verkäufern auch langfristig das Bestehen ihrer Unternehmen, ihre Einkommen und weiteres Wachstum zu sichern.“

Bereits 2017 musste Dawanda ein Viertel seiner Belegschaft entlassen. Mit letzten Umstrukturierungen versuchten sie das Geschäft zu retten. Ohne Erfolg. Nun müssen auch die 150 verbleibenden Mitarbeiter gehen. Von dem Aus sind daneben rund 70 000 aktive Verkäufer betroffen. Wie geht es für sie weiter?

Viele Verkäufer trifft das Aus der Plattform überraschend. Auf Facebook und Twitter machen sie ihrem Ärger Luft. Dawanda legt den Verkäufern einen Wechsel zum US-Konkurrenten Etsy nahe. Gemeinsam entwickeln die beiden Unternehmen ein Tool, das den Umzug erleichtern soll. Doch die Zeit für die Händler ist knapp und die Unsicherheiten groß. Über Facebook-Gruppen tauschen sich die Händler über ihre Ängste aus. Die größte Sorge der Community ist, auf Etsy nicht mehr gefunden zu werden. Über Jahre haben sie sich auf Dawanda einen festen Kundenstamm aufgebaut. Nun stehen sie vor einem viel größeren, unüberschaubaren Markt. Zwei Millionen aktive Verkäufer buhlen auf Etsy um die Gunst der weltweit 35 Millionen Käufer. Im Jahr werden auf Etsy Waren im Wert von 3,25 Milliarden Dollar verkauft. Der Umsatz betrug zuletzt 441 Millionen. Zum Vergleich: Auf Dawanda wurden vergangenes Jahr 16,4 Millionen Euro erwirtschaftet. Ein immenser Unterschied, der viele Verkäufer einschüchtert.

Händler sorgen sich vor der neuen Konkurrenz

Auch Anne Heisig bereiten vor allem die Internationalität und Größe von Etsy Sorgen. Sie wird ihr Sortiment anpassen müssen, um auf dem neuen Markt zu bestehen. Bisher hatten ihre Produkte besonders in ihrer Heimat Hessen Anklang gefunden. Nun sollen sie die ganze Welt erreichen. Die passionierte Verkäuferin weiß: Das Aus der Plattform könnte gleichzeitig auch das Ende für viele Verkäufer bedeuten. „Es sind so viele Existenzen bedroht“, sagt Heisig, „viele Verkäufer haben Mitarbeiter oder Ateliers, die sie nicht verlieren möchten.“

Nicht selten stecken ganze Teams hinter den Dawanda-Shops. So auch beim Meko Store. Seit 2007 produziert das neunköpfige Team individuelle Streetwear mit Liebe zum Detail. Verkauft wurde nahezu ausschließlich über Dawanda. Um weiterhin bestehen zu können, müssen Melanie Köhler und ihr Team nun Etsy erobern. Wie viele andere Händler ist der Meko Store dort bereits vertreten. Umsatz erzielen sie auf Etsy aber bisher kaum. Dawanda war für die Händler Dreh- und Angelpunkt für ihr Geschäft mit kreativen Handarbeiten. Nun gilt es, die aufgerissene Lücke zu schließen. Melanie Köhler stellt sich der Herausforderung, Zweifel bleiben dennoch. Beim Gedanken an den Neustart grummle es ihr in der Magengegend: „Sicher wird sich einiges verändern. Ob nun zum Positiven oder Negativen, wird die Zeit zeigen.“

Dass es an der Zeit ist, sich neben Dawanda weitere Standbeine aufzubauen, ahnte das Berliner Designer-Duo Bonnie & Buttermilk schon vor einigen Jahren. Ein eigener Laden in Prenzlauer Berg und ein Online-Shop sollen zusätzlich Sicherheit bieten. Die beiden Berlinerinnen entwerfen eigene Muster, Stoffe und Schnitte für ihre farbenfrohe Modelinie. Alles per Hand, alles aus Berlin. Abhängigkeiten von einem einzelnen Marktplatz versuchen sie zu vermeiden. Auch sie gehören zu den Urgesteinen auf Dawanda. Sie haben miterlebt, wie sich der Online-Marktplatz stetig verändert und entwickelt hat. Zuletzt mussten sie jedoch feststellen, dass auch die eigenen Zahlen auf der Plattform immer weiter abrutschten. Ein Drittel ihres Geschäfts fand aber noch auf Dawanda statt. Der Teil bricht mit dem Aus erst einmal weg und muss nach und nach wieder aufgebaut werden. Mit Etsy haben die beiden Designerinnen bisher nicht so gute Erfahrungen gemacht: Zu groß, zu unübersichtlich sei die Plattform.

Dennoch wollen sie den Wechsel zu Etsy als neue Chance sehen. Immerhin steckt ein enorm florierender Do-it-yourself-Markt dahinter. Zudem fallen die hohen Provisionen von Dawanda weg. Am Ende mussten die Verkäufer 9,5 Prozent ihres Umsatzes an die Plattform abtreten. Auf Etsy winken mit 3,5 Prozent deutlich niedrigere Gebühren. Für die Verkäufer bedeutet das am Ende des Tages mehr Geld in der eigenen Tasche. Eike Braunsdorf von Bonnie & Buttermilk ist optimistisch: „Wir hatten eine tolle Zeit bei Dawanda. Jetzt versuchen wir, Etsy lieben zu lernen.“

Was wurde aus den 70.000 Dawanda-Verkäufern?

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