Politik

ZÄHresa May

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Brexit-Abstimmung krachend verloren, Misstrauensvotum knapp überstanden. Aber die Briten-Premierministerin kämpft stur weiter. Nächster „May-Day“: 29. Januar

Es ist nicht auszuschließen, dass Theresa May (62) am Tag nach der größtmöglichen politischen Schlappe, die ein Politiker erleben kann, bei der Zeitungslektüre laut aufgelacht hat.

„Zombie-Premierministerin“, nennt sie ein Kolumnist der „Times“, der allerdings auch ihre politischen Gegner mit guten Argumenten „Zombie-Opposition“ nennt.

► „The Sun“ montierte ihren Kopf unter der Schlagzeile „Brextinct“ (eine Wortschöpfung aus Brexit und „extinct“ – „ausgestorben“) auf dem Körper eines vor mehr als 300 Jahren verschwundenen, flugunfähigen Tollpatsch-Vogels namens „Dodo“.

► Und ein Analyst der Commerzbank bezeichnet May in Anspielung auf Deutschlands Fußball-WM-Blamage und den Nicht-Rücktritt des Bundestrainers als „Jogi Löw der Politik“. Mit dem feinen Unterschied, dass Löw sein sportlich denkbar höchstes Ziel 2014 erreicht hat, während Theresa May nur immer laut davon träumte, diejenige zu sein, die den Willen des britischen Volks gegen alle Widerstände durchsetzt und den Brexit „liefert“.

Motto: Was kümmern mich die Negativ-Schlagzeilen von heute, wenn morgen ein Platz in den Geschichtsbüchern winkt?

Misstrauensvotum gescheitert

Premierministerin May bleibt an der Macht!

Quelle: Reuters
1:00 Min.

May-Rede wie „schimmliger Sportsocken“

Fest steht: Nur politische Dickhäuter wie Theresa May können derart ungerührt zur nächsten Schlacht in der Arena ziehen, wenn sie über sich in der Zeitung („Daily Telegraph“) lesen müssen, die entscheidende Rede ihrer Karriere habe die „Lebendigkeit eines schimmeligen Sportsockens“ gehabt.

Womit zwei wesentliche Charakterzüge von Theresa May erklärt wären: eine respekteinflößende Fähigkeit, Tiefschläge und Niederlagen aller Art wegzustecken. Und die Fähigkeit, am Ende auch noch über die Attacken und über sich selbst zu lachen.

Unvergessen ihre nächtliche Pressekonferenz Mitte November, dem Tag, an dem ihr sieben Kabinettsmitglieder die Brocken vor die Füße geworfen hatten – und sie mit sich dennoch komplett im Reinen schien. Sie habe von Tag eins ihrer Amtszeit „das nationale Interesse vorangestellt, nicht jenes irgendwelcher Partisanen oder – natürlich nicht – ihr eigenes.“

Noch bizarrer: Am Ende des jüngsten EU-Gipfels Mitte Dezember, dessen Fortschrittsgewinn in Sachen Brexit mit null noch höflich umschrieben ist.

Zuvor hatte May den ersten Termin der Brexit-Abstimmung wegen erkennbarerer Aussichtslosigkeit platzen lassen, sich binnen 24 Stunden in drei EU-Hauptstädten Abfuhren mit ihrem Wunsch nach Nachverhandlungen abgeholt und sich einem Misstrauensvotum auf Betreiben von Partei-Rebellen im eigenen Lager gestellt.

Bei einer Pressekonferenz zum Abschluss des EU-Gipfels wurde sie gefragt, ob sie in diesen Tagen überlegt habe, „das Telefon in den Müll zu werfen, auf eine abgelegene Insel zu ziehen und jemand anderen dazu zu bringen, dieses Chaos zu beseitigen“, kurz: Ob sie eine harte Woche hatte.

„Ist diese Woche etwas passiert, Jason?“, antwortete die 62-Jährige dem „Mail“-Reporter Jason Groves ironisch. „Du solltest nicht alles glauben, was du in der Zeitung liest.“

„So cool ist ja nicht mal Ms. Hudson, die Vermieterin von Sherlock Holmes“, flüsterte eine höchstens halb so alte Reporterin beim Herausgehen in Anspielung auf die britische Kult-Krimiserie „Sherlock“ im TV.

Detail am Rande: Auf May waren bei ihrem Auftritt mindestens dreimal so viele Kameras gerichtet als einige Räume weiter auf Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Pressekonferenz. Derzeit gilt die britische Pastorentochter, die in Oxford aufgewachsen ist, als DIE Schlüsselpolitikerin des Kontinents.

Sympathie-Bonus im Rekordtempo verspielt

Es bleibt paradox, dass eine Frau, die gegen ihre eigene Überzeugung (sie hatte selbst für den EU-Verbleib gestimmt) an allen Fronten für eine Art Kompromiss-Brexit kämpft, so tief in der Gunst der Öffentlichkeit sinken kann.

Dass sie ihren Sympathie-Bonus – u.a. durch ihren legendären Schuh-Tick und Halsketten-Tick, der so gar nicht zu ihrem sonst kreuzbraven Image passt – so atemberaubend schnell verspielen konnte.

Legendär schlecht lief ihr Wahlkampf für die von ihr selbst vorgezogene Parlamentswahl 2017, in der sie sich den Ruf einer unterkühlten, vom Volk völlig entrückten Phrasendrescherin erwarb.

Im Parlament entwickelten sich die Dinge nicht besser: 70 Prozent der Abgeordneten quer über alle Parteien hinweg waren Ende 2018 der Meinung, Mays Regierung habe bei den Brexit-Verhandlungen mit Brüssel schlechte Arbeit abgeliefert. Selbst unter ihren Parteifreunden, den konservativen Torys, bescheinigte ihr nur jeder Dritte einen guten Job.

Zu Mays größten Defiziten zählen Beobachter ihre Unfähigkeit, auf politische Gegner zuzugehen, das zu tun, was sie nach der denkwürdigen Klatsche Dienstagabend im Parlament versprochen hat, von nun an zu versuchen: zuzuhören. Bei dieser Ankündigung erntete sie allerdings bitteres Hohngelächter, hätte sie dafür seit 2016 doch schon länger Zeit gehabt.

Denn während May versuchte, den Graben, den der britische EU-Austritt zum Rest Europas zwangsläufig aufreißt, so überbrückbar wie möglich zu halten, hat sie die Risse innerhalb des Vereinigten Königreichs (Schottland!) und seiner Gesellschaft viel zu lange unterschätzt.

  • „Dark Ads“ auf Facebook

    DIESE geheime Hetzkampagne lockte die Briten in den Brexit

    Jahrhundert-Votum oder Jahrhundert-Beschiss? Der Wahlkampf der Brexit-Befürworter 2016 war noch viel schmutziger als bislang bekannt.

  • Schreckensszenario Chaos-Brexit

    Den Briten droht ein Endlos-Stau

    Chaos im Luftverkehr, Lieferengpässe und teure Telefongebühren. So dramatisch könnte ein Brexit ohne Abkommen werden.

Schlecht behandelt fühlten sich vor allem die EU-Ausländer im Land, die um ihren künftigen Status bangten und wie Bittsteller behandelt wurden. Tiefpunkt: Mays entlarvender Satz vor wenigen Wochen, nach dem Brexit könnten sich „EU-Bürger nicht mehr in der Schlange vordrängeln vor Ingenieuren aus Sydney oder Software-Entwicklern aus Delhi“.

Vergessen hat sie dabei die Frage, warum ausgerechnet die EU danach noch die politische Karriere einer Frau retten sollte, die von der europäischen Idee der Solidarität und Partnerschaft noch weniger verstanden hat als ihr in jederlei Hinsicht peinlicher Vorgänger David Cameron (52).

Ihren Job will im Moment niemand

Und dennoch gibt es eine Rest-Chance für May, ihre „Mission Impossible“ zu vollenden, doch noch „über die Ziellinie zu kommen“, wie sie in Endlosschleife den Grund ihres Ausharrens in Downing Street 10 benennt.

Der Grund: Niemand aus ihrer eigenen Partei will in Wahrheit ihren Job, in dem es von allen Seiten nur Kritik hagelt.

Manche halten das Amt des britischen Premierministers grundsätzlich für eines der erstrebenswertesten auf diesem Planeten. Andere sagen: „Im Moment ist es der besch… Job der Welt“.

Zweites Referendum wäre Mays politisches Ende

May könnte dennoch von sich aus die Reißlinie ziehen – wenn passiert, was sie um jeden Preis vermeiden wollte: ein zweites Referendum.

71 Abgeordnete der oppositionellen Labour-Partei unterzeichneten am Mittwoch einen Brief, in dem sie eine erneute Volksabstimmung fordern, mit der Option, die Brexit-Entscheidung rückgängig zu machen. Die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon sagte, ein zweites Referendum sei „die einzige glaubwürdige Option“. Das sehen auch einige hochrangige EU-Vertreter ähnlich.

Und wenn May wie immer stur bleibt? Dann steht „Schotten-Merkel“ Sturgeon für die zweite, weit weniger schmeichelhafte Möglichkeit, warum May in die Geschichtsbücher eingehen könnte: Als jene britische Premierministerin, die die Abspaltung eines unabhängigen Schottlands und damit einen Zerfall des Vereinigten Königreichs nicht verhindern konnte …

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