Wirtschaft

„Wir haben zeitweise 1000 Baustellen“

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Ronald Pofalla, Infrastruktur-Vorstand der Deutschen Bahn, über Pünktlichkeit, sauberen Fernverkehr und mehr Geld für die Schiene. Ein Interview.

Die Bahn wird Milliarden in das Schienennetz investieren, sagt Vorstand Ronald Pofalla.

Herr Pofalla, es wird viel über die Zukunft der Mobilität gestritten. In einem Punkt ist man sich einig: Der Schienenverkehr soll gestärkt werden. Muss man sich Ronald Pofalla als glücklichen Menschen vorstellen?

Ich bin froh, dass der Eisenbahnsektor heute mit seinen Kernanliegen geschlossen gegenüber der Politik auftritt – etwa beim Thema Digitale Schiene Deutschland. Das war, als ich zur Deutschen Bahn kam, anders. Der Schienenverkehr ist aus meiner Sicht wirtschaftlich durchaus so bedeutsam wie die Automobilindustrie.

Der Finanz- und der Verkehrsminister wollen die Autobranche bei der Elektromobilität stärker und länger fördern. Geht das zu Lasten der Bahn?
Die Förderung ist richtig. Wir erreichen die Klimaschutzziele für den Verkehrssektor nur, wenn auch der Individualverkehr elektrifiziert wird. Ich sehe da keinen Gegensatz zur Schiene. Wir fahren im Fernverkehr ja heute schon mit 100 Prozent Ökostrom. Die unterschiedlichen Verkehrsträger müssen im Gegenteil auf einer Mobilitätsplattform stärker vernetzt werden. Darin liegt die Zukunft.

Die Bahn verliert ihren Klimabonus, wenn Autos immer sauberer werden.
Nein, wir verlieren ihn nicht. Beim CO2- Ausstoß pro Fahrgast bleibt die Bahn unschlagbar. Die Energieeffizienz der Bahn ist im Vergleich zur Straße hervorragend. Und wir erhöhen den Anteil erneuerbarer Energien an unserem Stromverbrauch in diesem Jahr auf 60 Prozent. Es gibt keinen anderen Verkehrsträger mit einem vergleichbaren Anteil.

Ronald Pofalla, Infrastruktur-Vorstand der Deutschen Bahn.

An anderer Stelle ist die Bahn unterdurchschnittlich. Verkehrsminister Scheuer will bei der Pünktlichkeit bis Mitte des Jahres Fortschritte sehen. Können Sie liefern?
Wir haben alle Anstrengungen unternommen, um unsere Qualität zu erhöhen. Die Pünktlichkeit steigt. Wir hatten im Februar eine Quote von 80 Prozent, im März lagen wir bei ca. 78,4 Prozent, in den ersten drei Monaten im Schnitt bei 78,2 Prozent. Unser Ziel für 2019 ist 76,5 Prozent. Da haben wir Reserven bereits im ersten Quartal herausgefahren.

Es sollten einmal mehr als 82 Prozent sein.
Wir setzen uns realistische Ziele, weil uns die Kapazitäten bei den Fahrzeugen, der Infrastruktur und dem Personal fehlen. In 95 Prozent des Schienennetzes gibt es keine Schwierigkeiten, aber auf den verbleibenden fünf Prozent fahren wir mit einer Auslastung von bis zu 140 Prozent. Das betrifft unter anderem die großen Bahnknoten. Das strahlt auf das gesamte Netz aus. Wir werden das ändern. Der Konzernvorstand hat dem Aufsichtsrat in seiner „Agenda für eine bessere Bahn“ auch vorgeschlagen, 9000 zusätzliche Mitarbeiter einzustellen. Allein 22 000 Jobs besetzen wir in diesem Jahr. Die müssen erstmal kommen. Außerdem investieren wir in den kommenden Jahren bis zu zehn Milliarden Euro in neue Fahrzeuge.

Sie verhandeln mit der Regierung über die Finanzierung des Konzerns, die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung III (LuFV). Wird es einen Nachschlag geben?
Wir sind in guten Gesprächen. Für die Digitalisierung der Infrastruktur soll es bis 2023 570 Millionen Euro zusätzlich geben. Im Eckwertebeschluss der Bundesregierung sind eine Milliarde Euro mehr vorgesehen. Damit erhöht sich die jährliche Mittelausstattung von 3,5 auf 4,5 Milliarden Euro. Dafür bin ich der Bundesregierung dankbar. Dennoch verhandeln wir weiter, weil diese Erhöhung der Mittel nicht ausreicht, um unseren Rückstau bei der Instandhaltung aufzulösen.

Wie viel brauchen Sie denn zusätzlich?
Für den LuFV III-Zeitraum 2020 bis Ende 2024 reicht eine Milliarde Euro zusätzlich nicht aus. Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingen wird, im Rahmen der LuFV III für das kapazitätsschonende Bauen – also Bau-Maßnahmen, die den Bahnbetrieb weniger stören – einen zusätzlichen Betrag im niedrigen dreistelligen Millionenbereich pro Jahr zu bekommen.

Können Sie das Geld überhaupt verbauen?
Ja, wir sind technisch, planerisch und personell darauf vorbereitet. Mit 10,7 Milliarden Euro investieren wir 2019 so viel ins Netz wie seit der Privatisierung nicht.

Weniger anfällig für Störungen ist das Netz nicht geworden, wie die vielen Verspätungen zeigen.
Das ist falsch. Alle Daten zeigen das Gegenteil. Wir haben die messbaren Fehler, an denen wir die Qualität des Netzes ablesen können, seit 2010 halbiert. Richtig ist, dass wir zum Ende des LuFV II- Zeitraums bis Ende 2019 den Instandhaltungsstau nicht abbauen, weil die Baupreise in den letzten zwei Jahren stark gestiegen sind.

Es gibt zeitweise pro Tag 900 Baustellen im Netz. Ist das noch beherrschbar?
Es gibt sogar zeitweise an die 1000 Baustellen am Tag. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren 20 Prozent mehr Baustellen gehabt, aber gleichzeitig eine Abnahme der netzbedingten Störungen durchs Bauen um 27 Prozent. Hier können wir noch mehr tun – bei der Planung, bei der Bauausführung, bei der Bildung von Baukorridoren oder beim kapazitätsschonenden Bauen. Wenn alle Maßnahmen greifen, dann wollen wir in der Lage sein, die bisherigen Einschränkungen bei der Kapazität um ein Drittel zu reduzieren. Und damit pünktlicher zu werden.

Die Digitalisierung, bei der das Zugbeeinflussungssystem ETCS Signale, Kabel und Weichen ersetzt, soll bis zu 20 Prozent mehr Züge auf die Gleise bringen, ohne dass Strecken gebaut werden müssen. Wann werden die Kunden etwas davon haben?
Schon heute kann man es auf unserer Verbindung zwischen Berlin und München erleben, die im Wesentlichen digitalisiert ist. Hier fahren wir mit einer Pünktlichkeit von deutlich mehr als 80 Prozent. Das Kernnetz wollen wir bis 2030 digitalisieren. Schon bis Mitte der 2020er Jahre werden wir über die europäischen Programme 2000 Kilometer digitalisieren. Außerdem haben wir der Regierung gerade ein Starterpaket für die Digitalisierung in Höhe von 1,5 Milliarden Euro für 2020 bis 2025 vorgeschlagen. Der erste Teil ist schon finanziert.

Auch die Züge müssen mit ETCS-Technik ausgestattet sein. Pro Zug wird mit Kosten von 500 000 Euro gerechnet. Dafür gibt es aber noch keine Finanzierung des Bundes.
Der Prozess muss parallel laufen. Es wäre ja absurd, und das sieht die Regierung auch so, wenn wir nur Infrastruktur digitalisieren, aber keine Fahrzeuge dafür haben. Das wäre so, als wenn man Straßen baut, aber keine Autos, die darauf fahren.

Ist auf der Strecke Berlin-München schon ein Güterzug gefahren? Das war ja das Ziel.
Nein, aus mehreren Gründen nicht. Die Trassen sind teurer und werden aus Kostengründen von Güterverkehrsunternehmen gemieden. Bestimmte Zuglängen können außerdem nicht fahren, weil die nötige Technik noch verbaut werden muss. Im nächsten Jahr wird es aber mit dem Güterverkehr auf der Strecke nach meiner Einschätzung losgehen.

Die von der Regierung erwartete Verdopplung der Fahrgastzahlen bis 2030 wird die Bahn nicht schaffen?
Wir krempeln natürlich die Ärmel hoch. Das Ziel hat sich jedoch die amtierende Bundesregierung in den Koalitionsvertrag gesetzt. In Stein gemeißelt ist das bis 2030 nicht. Und um das Ziel erreichen zu können, muss die Politik noch große Schritte machen, um die Schiene weiter zu stärken. Beispiel: Deutschland-Takt, der erst ab 2030 kommt und den Nahverkehr, Fernverkehr, Bahn und Bus deutschlandweit aufeinander abstimmen soll.

Herr Pofalla, bitte ergänzen Sie drei Sätze : Mein schönstes Bahn-Erlebnis in den vergangenen zwölf Monaten war, …
… als ich einen Kaffee verschüttet habe und eine Kundin mit Kleenex nachgeholfen hat, um die Zahl der Flecken auf meinem Hemd zu reduzieren.

In den Verhandlungen mit dem Finanzminister kommt es vor allem darauf an, …
… sachlich und zielbezogen zu argumentieren.

Wenn ich Bahnchef wäre, …
… der ich nicht bin, daher mache ich mir darüber keine Gedanken.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer.

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