Wirtschaft

Steinmeier fordert neue Spielregeln für die digitale Welt

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Der Bundespräsident warnt vor digitaler Fremdbestimmung – und will die großen Konzerne in die Pflicht nehmen.

Von seinen Reisen ins Silicon Valley und nach China ist die Rede geprägt, die Steinmeier auf dem Kirchentag gehalten hat.

Dass auch ein Bundespräsident vor Hetze im Netz nicht geschützt ist, bekam Frank-Walter Steinmeier mal wieder ausgerechnet auf seinem Weg zum Evangelischen Kirchentag zu spüren. Auf seinem Instagram-Account hatte sein Team ein Foto von seiner Zugfahrt nach Dortmund veröffentlicht. „Das ist reine populistische Inszenierung“, keifte sogleich ein Nutzer. „Wahrscheinlich wäre ein Hubschrauberflug schneller und preiswerter gewesen. Aber halt nicht so öffentlichkeitswirksam.“

Während sich der Nutzer ereiferte, arbeitete Steinmeier an seiner Rede, in der es am Donnerstag genau darum ging: Um die Verrohung und Verkürzung von Sprache und Debatte – und wie entgegengewirkt werden kann: „Ziehen wir uns niemals zurück“, ermunterte Steinmeier. „Überlassen wir den politischen Diskurs im Netz nicht den wütenden und tobenden Scheinreisen.“ Gefordert sei nicht etwa zuallererst eine „Digitalisierung der Demokratie“, sondern eine „Demokratie des Digitalen.“ Die „Rückgewinnung des politischen Raums“, nicht nur gegen Hass und Hetze im Netz, sondern auch gegen „die ungeheure Machtkonzentration bei einer Handvoll von Datenriesen aus dem Silicon Valley“ sei „die drängendste Aufgabe.“


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AfD-Politiker fehlen auf der Veranstaltung

Steinmeier, übrigens der erste Bundespräsident, der mit Seiten auf Facebook und Instagram in den sozialen Medien vertreten ist, verbindet das Thema Demokratie in seiner Amtszeit immer wieder mit den Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung. Nachdem er auf der Berliner Digitalmesse re:publica Anfang Mai vor den digitalen Jüngern gesprochen hatte, adressierte er in der Dortmunder Westfalenhalle ein Publikum, das womöglich noch nicht bis in die letzte Haarspitze vernetzt ist. „Die Digitalisierung berührt Kernfragen unseres menschlichen Zusammenlebens, und deshalb gehört die Debatte in die Mitte der Gesellschaft“, sagte Steinmeier vorab.

Fraglich ist allerdings, wie sehr das Kirchentagspublikum zur „Mitte der Gesellschaft“ gehört – zumal AfD-Politiker auf der Veranstaltung unerwünscht sind und damit ausgerechnet jene Gruppe fehlt, die soziale Medien besonders erfolgreich für ihre Zwecke zu instrumentalisieren weiß. Und deren Anhänger immer wieder damit auffallen, Hass und Hetze im Netz zu verbreiten.

Steinmeier mahnt Grundregeln an

Jedoch dürfte Steinmeier mit seiner Grundsatzrede beim noch bis Sonntag andauernden Kirchentag eben eine Zielgruppe erreichen wollen, von der er erwartet, dass sie Verantwortung im demokratischen Sinn auch in die Gesellschaft hinein übernimmt – der aber die Digitalisierung auch Sorgen bereitet. Steinmeier warb deshalb – so auch der Titel der Rede – um ein „Zukunftsvertrauen in der digitalen Moderne“.

„Wir dürfen den technologischen Fortschritt niemals als monströses Naturereignis ansehen, dem wir sozusagen alle miteinander machtlos ausgeliefert sind“, sagte der Bundespräsident und appelliere damit, den digitalen Wandel aktiv mitzugestalten und ihn nicht nur passiv hinzunehmen. Dafür brauche es aber auch Grundregeln, die Orientierung bieten. Steinmeier mahnte deshalb eine „Ethik der Digitalisierung“ an: „Freiheit braucht Regeln und neue Freiheiten brauchen neue Regeln.“ Ausgangspunkt müsse die Frage sein, wie die Technologie den Menschen dienen könne.

Eindrücke aus dem Silicon Valley und China

Geprägt sind diese Forderungen auch von Steinmeiers Reisen im vergangenen Jahr ins Silicon Valley, wo er die Entgrenzung des digitalen Kapitalismus erlebte, und nach China, wo er darüber diskutierte, wie Menschen mithilfe digitaler Technologien zu gläsernen Bürgern gemacht werden sollen.

Umso mehr fordert der Bundespräsident einen europäischen Weg ein. Die digitale Welt von heute diene „noch den Interessen derer, die unsere Geräte voreinstellen, unsere Anwendungen programmieren, unser Verhalten lenken wollen“, sagte Steinmeier. „Deshalb brauchen wir den Mut, das Spiel zu unterbrechen und die Spielregeln zu überprüfen.“

Was einmal gestaltet worden sei, könne auch neu gestaltet werden, was programmiert worden sei, könne neu programmiert werden: „Also: Trauen wir uns zu und reden über die Änderung des Programms“, sagte Steinmeier in seinem Appell.

Merkel will Rohstoff Daten besser nutzen

Am Abend zuvor hatte auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) für einen offeneren Umgang mit digitalen Chancen gefordert – jedoch ohne gleich übermütig zu werden. An manchen Stellen gebe es zu viele Sorgen, und es fehle zuweilen an der Bereitschaft, den Rohstoff Daten zu nutzen, sagte sie bei der Konferenz „Morals & Machines“ in Dresden: „Wir sind fast schneller am Überlegen, welche Leitplanken wir bauen, bevor wir fröhlich mit Daten umgehen.“ Auch die Künstliche Intelligenz sei „ein großes Abenteuer“. Es dürfe nicht nur von Ingenieuren, sondern über alle Wissenschaften hinweg erforscht und beobachtet werden, vor allem den Sozialwissenschaften.

Auch Merkel sprach sich erneut dafür aus, ein rechtliches Regelwerk für Europa zu schaffen – wie etwa zur Datenschutzgrundverordnung (DSGVO): „Es darf nur nicht so lange dauern.“ Vielleicht hilft ein Stoßgebet.

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