Wirtschaft

Sollten sich deutsche Supermärkte China zum Vorbild nehmen?

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Amazon und sein chinesisches Pendant Alibaba machen den Einkauf im Supermarkt zum Hightech-Erlebnis. Zieht der Einzelhandel in Deutschland nach?

„Spare 25 Prozent, wenn du jetzt kaufst! Kaufe ein Produkt und erhalte eines umsonst! Bester Preis garantiert!“ In Zukunft könnten…

Als Amazon vor einem Jahr seinen ersten Supermarkt mit dem Namen „Go“ in Seattle eröffnete, war ein deutlich vernehmbares Raunen unter deutschen Supermarktkunden zu vernehmen. Ein Geschäft ohne Kassen! Mit Kameraüberwachung! Ohne Kassierer! Kann das die Zukunft sein? Inzwischen betreibt Amazon neun solcher Supermärkte und plant laut der Nachrichtenagentur Bloomberg, bis 2021 in den USA 3000 weitere „Go“s zu eröffnen. Auch Standorte in London sind im Gespräch. Keine Frage – wenn das die Zukunft des Einkaufens ist, dann kommt sie näher. Und auch deutsche Kunden müssen sich bald fragen: Wie will ich in Zukunft einkaufen?

Wer wissen will, welche technischen Neuerungen der Einzelhandel bereithält, muss allerdings schon lange nicht mehr nur in die USA schauen, sondern mittlerweile vor allem nach China. Denn dort gehören Konzepte, die vergleichbar zu Amazon Go sind, schon länger zum Alltag. „China ist im Vergleich zum Rest der Welt führend im Experimentieren mit unbemannten Shops und hat sogar die USA hinter sich gelassen“, bestätigt etwa Matthew Crabbe vom internationalen Marktforschungsunternehmen Mintel.

Ganz vorne mit dabei ist das chinesische Amazon-Pendant Alibaba. Der Konzern eröffnete bereits im Juli 2017 den Tao-Café-Shop in Hangzhou, der ähnlich funktioniert wie „Go“. Hier scannen Kunden am Eingang einen QR-Code auf ihrem Smartphone. Im Laden können sie die Ware beliebig aus den Regalen nehmen, die mit Hilfe von Sensoren und Waagen genau registrieren, welcher Kunde welchen Artikel gegriffen hat. Kameras verfolgen den Weg der Kunden durch den Laden und kaum steht man vor der Ausgangstür, kann man die Rechnung im persönlichen Alibaba-Account auf dem Smartphone abrufen.

Alibaba will Online- und Offline-Einkauf verbinden

Doch das ist noch gar nichts gegen Hema. Diese Supermarktkette eröffnete das Internetunternehmen Alibaba schon 2016 quasi als Testobjekt dafür, wie sich Online- und Offlinehandel verbinden lassen. Inzwischen ist das Projekt der Testphase allerdings entwachsen. 65 Filialen gibt es im Reich der Mitte bisher, 2000 weitere sind geplant. Hier lässt sich jedes Produkt per Smartphone-App scannen, um weitere Informationen zu erhalten. Werbung gibt es natürlich gleich dazu. Man kann sich zudem alle Produkte auch vor Ort zubereiten lassen und entweder dort verzehren oder fertig gekocht mitnehmen.


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Anders als bei Amazon Go ist der Laden nämlich voller Servicepersonal, das den Kunden beim Kauf berät. Bezahlt wird an Selbstscan-Automaten mit der Gesichtserkennung der Alipay-App, der Smartphone-Anwendung, mit der Alibaba mobiles Bezahlen anbietet. Innerhalb eines Radius von drei Kilometern liefern die Supermärkte alle Bestellungen nach eigenen Angaben binnen 30 Minuten – ein Zeitraum, von dem Amazons Lebensmittel-Lieferdienst Fresh weit entfernt ist.

Auch abseits von Alibaba gibt es Experimente für neue Shoppingmöglichkeiten. Die chinesischen Internetkonzerne Tencent und JD betreiben ähnliche Geschäfte. Und dann gibt es noch die Bingoboxen, von denen mehr als 200 in China stehen. Sie sind kleine Container, in denen Kunden ihre Einkäufe selbst abkassieren, indem sie den gesamten Warenkorb auf eine Waage legen, die dann automatisch jeden Artikel abrechnet.

Künstliche Intelligenz wird schon jetzt eingesetzt

Ist es also nur eine Frage der Zeit, bis auch in Deutschland jeder Supermarkt, jeder Späti zu einem Hightech-Markt wird? Jemand, der es wissen muss, ist Stefan Genth. Er ist Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE) und meint, in vielen Bereichen sei das bereits der Fall. Allerdings bekomme der Kunde nicht immer etwas davon mit. „Die Sortimentsplanung ist schon jetzt vielfach durch künstliche Intelligenzen gesteuert“, erklärt Genth. „Algorithmen werden uns in Zukunft vermehrt helfen, Trends vorauszusagen, indem sie zum Beispiel soziale Netzwerke analysieren.“ Er hält aber auch Verkaufsberatung durch Hologramme für möglich. „Künstliche Intelligenz und Roboter werden uns im Handel in Zukunft häufiger begegnen.“

Für Genth stellt sich das Einkaufen aber vielschichtiger dar. So geht er davon aus, dass sich das Einkaufsverhalten zwischen verschiedenen Artikeln differenzieren wird. „Dinge wie Putzmittel oder Klopapier wird man vermutlich häufiger online kaufen, Produkte, die man vor dem Kauf sehen, testen, riechen will, wird es auch weiterhin stationär geben“, meint der HDE-Chef. Dennoch ist er sich sicher: „Man wird in Zukunft wesentlich mehr Lebensmittel online kaufen als heute.“

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1 von 6Foto: REUTERS24.09.2018 17:29Dass Warenhäuser auch heute noch wachsen können, zeigt das spanische Traditionshaus El Corte Ingles. Der Umsatz stieg im…Zurück

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Peter Kenning sieht drei Aspekte, die den Einzelhandel in Deutschland bis 2030 prägen werden: Personalisierung, Erlebnis beim Shoppen sowie eine engere Verzahnung von online und offline. Kenning ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Düsseldorf und berät die Bundesregierung seit 2011 in Verbraucherfragen. Er führt aus, was er unter Personalisierung versteht. „Das bedeutet zum Beispiel, dass der Kauf einer Ware immer stärker mit dazu passenden Dienstleistungen verbunden wird, angefangen von kostenlosen Lieferungen bis hin zu individuellen Gutscheinen, individuellen Beratungen oder sonstigen Zusatzangeboten“, so Kenning. „Auch personalisierte Preise sind dann wahrscheinlich.“

Das gesteigerte Einkaufserlebnis zeichne sich schon jetzt ab. „Früher war ein Edeka klein, schmutzig und teuer. Heute sind das attraktive Marktplätze, auf denen die vielfältigsten Konsumerlebnisse gehandelt werden.“

Und für die Verbindung zwischen Online- und Offlinekauf hat Kenning den Begriff „No-Line-Einkauf“. „Schon heute kann man dem Kunden während des Einkaufens Nachrichten auf sein Smartphone schicken, um ihm zusätzliche Informationen zu Produkten und Angeboten zu vermitteln“, sagt der Professor und plötzlich wirken die Alibaba-Supermärkte gar nicht mehr so weit weg. „Auch das mobile Bezahlen dürfte dann weiter an Bedeutung gewinnen.“

Der stationäre Handel erfüllt eine soziale Funktion

Eine Studie der Unternehmensberatung PwC aus dem Jahr 2018 förderte jedoch einen Umstand zutage, der den Einsatz neuer Technologien und den Erfolg des Onlinehandels in Deutschland erschweren könnte: Die Mehrheit der Verbraucher macht sich Sorgen um die Sicherheit ihrer Daten. 44 Prozent der Kunden versuchen demnach die von ihnen angegebene Datenmenge zu minimieren. Zudem ergab die Studie, dass Kunden hierzulande den stationären Einkauf auch in Zeiten des Onlinehandels weiterhin wertschätzen. Der Anteil derer, die „mindestens einmal pro Woche im Laden um die Ecke einkaufen“, stieg in den vergangenen zwei Jahren sogar von 46 auf 59 Prozent. Das gilt der Umfrage zufolge auch für junge Zielgruppen.

Doch aus Sicht von Genth und Kenning fällt dem tägliche Einkauf in Zukunft auch eine gesellschaftliche Rolle zu. Gerade in kleineren Städten habe der Handel eine immense soziale Funktion. „Wir brauchen ganzheitliche Konzepte, um die Innenstädte attraktiv zu machen, da ist der Handel ein wichtiger Akteur“, sagt etwa Genth. Und auch Kenning ist sich sicher, Einkaufen werde „künftig noch durch konsumkulturelle Leistungen wie Verkostungen oder exklusive Kochkurse ergänzt“. Im ländlichen Raum werde der Handel „eine wichtige soziale Funktion für die zwischenmenschlichen Interaktion erfüllen“. Aus Sicht von Genth sollte man nicht nur auf Amazon und Alibaba schauen, sondern auch auf Weimar und Bocholt: „In diesen beiden Städten zeigt sich schon jetzt, wie der Handel in Zukunft aussehen kann: serviceorientiert und mit Zusatzangeboten wie Cafés oder Restaurants.“

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