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„Putin lügt live im Fernsehen“

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Stundenlang musste sich der russische Präsident Wladimir Putin die Sorgen seiner Landsleute bei der TV-Show „Direkter Draht“ anhören.

Löhne, die nicht zum Leben reichen, Ärzte, die das Weite suchen, weil sie umgerechnet nicht einmal 1000 Euro im Monat verdienen, lebensnotwendige Medikamente, die fehlen – und kaputte Straßen und schmutziges Trinkwasser. Russland im 21. Jahrhundert hat weiterhin große Probleme – auch wenn Putin das seit Jahren nicht zugeben möchte.

Und so mochte der Kremlchef in der 17. Auflage der Sendung am Donnerstag manches nicht glauben – so schlimm könne es doch nicht sein. Traditionell setzte das Format Putin als Problemlöser, nicht als Schuldigen, in Szene. Wie seine jährliche Pressekonferenz im Herbst ist es längst ein Machtritual, bei dem Putin keine großen Probleme zu befürchten hat. Er hat immer das letzte Wort.

Bei jährlicher Bürger-Fragestunde

Putin verspricht Russen besseres Leben

Quelle: Reuters
1:41 Min.

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Nawalny attackiert Putin

Der prominente Anti-Korruptions-Kämpfer und Blogger Alexej Nawalny kommentiert mit anderen Oppositionskräften die Sendung aus der Ferne:

„Putin lügt live im Fernsehen!“, schreibt er bei Twitter. Im Staatsfernsehen berichten Moderatoren von massiven Hackerattacken auf die Sendung. Doch Putin zieht seine Show wie gewohnt durch.

„Helfen Sie uns, Wladimir Wladimirowitsch!“, rufen verzweifelte Bürger immer wieder. Dabei ist die Unzufriedenheit über die sozialen Missstände im Land inzwischen so groß, dass die Sendung eher wie eine Gruppentherapie wirkt und zeigen soll, dass es allen so geht. Es werde viel versprochen, aber Ergebnisse fehlten, heißt es in vielen Wortbeiträgen. Einen Plan oder neue Ideen, wie sich die Lage im Land verändern lässt, gibt es nicht.

Proteststimmung nimmt zu

Die Proteststimmung nimmt nach Einschätzung von Experten zu. „Die Bereitschaft zur Teilnahme an den Protesten ist fast doppelt so hoch wie sonst“, meinte unlängst der Direktor des Forschungsinstituts Lewada, Lew Gudkow. Fast 30 Prozent der Russen seien mittlerweile bereit, etwa für einen höheren Lebensstandard zu demonstrieren.

Auch der vor allem in liberalen Kreisen angesehene Chef des russischen Rechnungshofes, Alexej Kudrin, zeigte sich unlängst besorgt, dass die Armut im Land zu sozialem Sprengstoff werden könne. 19 Millionen Menschen – 13 Prozent der russischen Bevölkerung – lebten heute unter der Armutsgrenze. „Das sind besorgniserregende Zustände“, sagte er.

▶︎ Dramatische Zahlen veröffentlichte im April auch das nationale Statistikamt, wonach sich ein Drittel der Russen nicht einmal mehr Schuhe leisten könne.

▶︎ Fast 80 Prozent der russischen Familien gaben zudem an, finanzielle Probleme zu haben, wenn es um die nötigsten Waren gehe. Die Hälfte der Befragten konnte sich der Erhebung zufolge auch keinen Urlaub leisten.

Kreml weist Vorwürfe zurück

Dem Kreml missfallen solche Zahlen. Kremlsprecher Dmitri Peskow bescheinigte dem Rechnungshof-Chef eine emotionale Überreaktion. Das mit den Schulen könne er gar nicht nachvollziehen, sagte der Vertraute Putins. Peskow tat die Zahlen als akademische Rechnerei ab. Aber er ging noch weiter.

Als das staatliche Meinungsforschungsinstitut Wziom unlängst das Vertrauen in Putin mit einem historischen Tiefstand von 31,7 Prozent angab, maßregelte Peskow die Soziologen. Sie sollten die Frage anders stellen.

▶︎ Und die Soziologen folgten: Sie fragten nun, wie stark das Vertrauen für Putin ist. Prompt verdoppelte sich der Wert auf mehr als 70 Prozent – dank der neuen „Methode“.

Die Lage heute sei so, schrieb die Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“ am Donnerstag, dass die Beamten lieber mit der Statistik als mit der echten Armut im Land kämpften.

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