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Kinder deutscher ISIS-Mitglieder in Syrien

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Es ist eine Frage, vor der sich die Bundesregierung wegduckt: Wie geht man mit den Kindern deutscher ISIS-Mitglieder in Syrien um? Denn während im Irak nur ein knappes Dutzend Kinder deutscher Dschihad-Reisender festsaß, von denen einige bereits zurückgeholt wurden, sind es in Nordsyrien nach BILD-Informationen gut 60 Kinder.

Jetzt kritisiert der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae das Zögern des Auswärtigen Amtes und fordert die Bundesregierung zum Handeln auf: Die deutschen Kinder in Syrien müssten aus dem Kriegsgebiet in Sicherheit gebracht werden.

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Mehr als 1000 Islamisten haben sich in den vergangen Jahren aus Deutschland in Richtung Syrien aufgemacht, der Großteil von ihnen schloss sich dem so genannten „Islamischen Staat“ an.

Einige von ihnen, wie etwa die Kölnerin Mine K., nahmen ihre Kinder mit auf die Hijra, wie die Ausreise in der Szene genannt wird. In diesen Fällen ist zumindest die Staatsbürgerschaft der Kinder meist klar und auch eine Geburtsurkunde liegt vor.

Anders verhält es sich bei jenen Kindern deutscher Dschihad-Reisender, die in Syrien oder dem Irak geboren wurden. In der Regel haben diese keine Geburtsurkunde und auch keine sonstigen Dokumente, die sie als Angehörige eines Staates ausweisen würden. Sind ihre Eltern deutsche Staatsangehörige, haben diese Kinder aber einen Rechtsanspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft.

Nach dem territorialen Niedergang des „Kalifats“ flohen Dutzende deutsche Dschihad-Reisende mitsamt ihren Kindern in die Gebiete des Bündnisses SDF, einer Allianz kurdischer und arabischer Gruppierungen, dessen dominante Komponente die kurdische YPG-Miliz ist. Die YPG und ihr politischer Arm PYD gelten als syrischer Ableger der in Deutschland und der Türkei als Terrororganisation eingestuften PKK.

Auch aus diesem Grund werden die Kontakte zwischen deutschen Behörden und der YPG wenig nach außen gestellt – intensivere Kontakte bergen Konfliktpotential im deutsch-türkischen Verhältnis.

Die Kinder deutscher Dschihad-Reisender, die mit ihren Müttern in YPG-Camps in Nordsyrien festsitzen, sind nun Opfer dieser politischen Gemengelage. Denn während mehrere Kinder aus irakischen Haftanstalten bereits in die Bundesrepublik gebracht wurden, fehlt in Nordsyrien ein staatlicher Ansprechpartner.

Das Auswärtige Amt, für die Belange deutscher Staatsbürger im Ausland zuständig, zieht sich regelmäßig auf den Standpunkt zurück, in Syrien keine konsularische Betreuung leisten zu können – die Botschaft in Damaskus sei schließlich geschlossen.

Auf die Frage des stellvertretenden FDP-Fraktionsvorsitzenden Stephan Thomae, welche Bemühungen die Bundesregierung zur Rückführung deutscher Staatsangehöriger aus Nordsyrien unternehme, verwies das Auswärtige Amt zunächst wieder auf die geschlossene Botschaft. Allerdings ist neben dem Roten Kreuz und anderen NGOs auch der Bundesnachrichtendienst vor Ort und nimmt Befragungen deutscher Dschihad-Reisender vor.

Thomae fragte deshalb auch an, weshalb das Auswärtige Amt nicht um Amtshilfe bei der Rückführung bittet. Die ausweichende Antwort des Auswärtigen Amtes: „Die Bundesregierung (prüft) mögliche Optionen, um deutschen Staatsangehörigen, insbesondere in humanitären Fällen, eine Ausreise aus Syrien zu ermöglichen.“

„Es entsteht der Eindruck, dass es dem Auswärtigen Amt am Willen mangelt, die deutschen Kinder nach Deutschland zu holen. Anders lässt sich das zögerliche Vorgehen des Ministeriums nicht erklären“, sagt Stephan Thomae zu BILD. „Gerade weil es keine konsularische Betreuung von deutschen Staatsangehörigen in Syrien gibt, ist die Regierung verpflichtet, zu helfen. Das Recht auf Schutz durch den eigenen Staat darf nicht ausgehebelt werden.“

Das Schicksal der Kinder in den nordsyrischen Camps wird zudem meist vorrangig unter Aspekten der Sicherheit diskutiert. Denn in der ISIS-Propaganda wurde immer wieder auch die „nächste Generation“ präsentiert, so genannte „Junglöwen“, die von kleinauf gedrillt würden. In den hochauflösenden Videos der Terrormiliz wurde nicht nur die Indoktrination der Kinder und Waffentraining gezeigt, sondern auch Exekutionen durch Minderjährige.

Allerdings handele es sich dabei keineswegs um die Mehrheit, so Nadim Houry zu BILD. „Die meisten Kinder in den Camps sind sehr jung und sie haben niemals ein ISIS-Training durchlaufen“, sagt der Terrorismusexperte von Human Rights Watch. „Sie sind Opfer und es ist inhuman, sie in dieser Situation zu belassen.“

Auch Thomae pflichtet dem bei: „Während die Motive der Frauen, in die IS-Kampfgebiete zu reisen, oft nicht klar sind, sind die Kleinkinder den Fängen des IS wehrlos ausgeliefert. Die Bundesregierung darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen.“

Die Umstände in den Camps seien „sehr schwierig“, so Houry. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln sei zwar stabil, aber die hygienischen Umstände begünstigten den Ausbruch von Krankheiten. Nach BILD-Informationen gibt es derzeit in zwei der Camps Ausbrüche von Krätze. Auch sei die medizinische Versorgung nicht ausreichend.

„Die Camps waren ursprünglich als Flüchtlingslager vorgesehen und sind nun überfüllt“, so Houry. Denn neben den tausenden Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak müssen in den Flüchtlingscamps nun auch Hunderte geflohene ISIS-Mitglieder versorgt werden.

Vor allem im anbrechenden Winter spitzt sich die humanitäre Lage nun weiter zu: In den Zelten des Hilfswerks UNHCR wird mit primitiven Mitteln geheizt – immer wieder gehen Zelte deshalb in Flammen auf.

Im vergangenen Monat brannten in einem überfüllten Flüchtlingslager mehrere Zelte ab, ein Mädchen (3) einer ISIS-Ausgereisten wurde nur knapp aus den Flammen gerettet. Die schlechte Versorgungslage macht eine angemessene Behandlung der Verletzungen unmöglich.

Zudem fürchten viele der geflohenen ehemaligen ISIS-Mitglieder, dass die YPG sie wieder zu ISIS zurückschickt oder gegen gefangene YPG-Kämpfer austauscht. Darauf deutete auch ein Dokument des belgischen Nachrichtendienstes VSSE hin, über das BILD im Sommer berichtete:

Demnach würden „glaubhafte Informationen vorliegen, dass Frauen und Kinder von ISIS-Kämpfern aus den kurdischen Camps mit Bussen zurück ins ISIS-Gebiet gebracht werden.“

Die Geduld der kurdischen Miliz wird nun seit über einem Jahr strapaziert: Die europäischen Staaten überlassen die Versorgung ihrer eigenen Dschihad-Reisenden der YPG, die sich selbst in einer schwierigen militärischen Lage befindet. Lediglich Russland, Indonesien und Kasachstan haben in größerem Umfang ihre Staatsangehörigen aus Syrien zurückgeholt, zudem ist Mazedonien offenbar ernsthaft darum bemüht. Die USA haben nach BILD-Informationen ebenfalls einige ihrer Staatsbürger zurückgeholt – und fordern die Europäer verstärkt dazu auf, sich ebenfalls um die jeweiligen Reisefälle zu kümmern.

„So wie es eine gemeinsame Anstrengung der Anti-ISIS-Koalition gab, um die Organisation militärisch zu besiegen, braucht es jetzt wieder eine gemeinsame, länderübergreifende Anstrengung“, fordert Terrorexperte Houry. Nicht nur unter humanitären Aspekten sei dies geboten, es wäre auch ein wichtiger Schritt, um die Kinder der Dschihad-Reisenden in die Gesellschaften ihrer Herkunftsländer zu integrieren, statt sie im ISIS-Gebiet einer möglichen Radikalisierung zu überlassen.

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