Wissen und Technik

Bilder im Kopf haben weniger Macht als gedacht

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Die Berliner Psycholinguistin Pia Knoeferle untersucht den Zusammenhang von Bildern und Sprache. Eine Erkenntnis: Bilder werden auch dann richtig verstanden, wenn Stereotypen sprachlich wachgerufen werden sollen.

Wie lange braucht der Mensch, um widersprüchliche Eindrücke zu verarbeiten? Das untersucht Pia Knoeferle, Psycholinguistin an der…

Der kleine Raum ist fensterlos und nur mit einem Tisch und einem Stuhl möbliert. Auf dem Kopf trägt der Proband eine Badekappe, die mit Elektroden versehen ist. Auf einem Bildschirm ist ein Film zu sehen: Männliche Hände halten eine Kuchenform. Dann ertönt über den Kopfhörer eine Stimme: „Den Kuchen backt die Frau.“ Im Gehirn des Probanden wird nun binnen Millisekunden abgeglichen: Stimmen die Informationen von Film und Sprache überein? Die Denkarbeit kann man an den Gehirnströmen ablesen. Auf den Überwachungscomputern der Wissenschaftler rattern die Daten.

In der Dorotheenstraße in Mitte unterhält das Institut für Deutsche Sprache und Linguistik der Humboldt-Universität gleich mehrere Labore. Hier erforscht die Psycholinguistin Pia Knoeferle mit ihrem Team, wie Sprache und Bilder im Gehirn zusammenwirken. Eye-Tracking-Geräte stehen dafür zur Verfügung, Elektroenzephalographen (EEG) und Geräte, die die Reaktionszeit messen. Denn so banal die Aufgabenstellungen für die Probanden auf den ersten Blick erscheinen, so komplex ist die Forschung, die Knoeferle mit ihren empirischen Experimenten betreibt. Noch ist vieles von dem, was im Gehirn passiert, während Menschen sehen und hören, nämlich völlig unklar.

Ältere filtern negative Faktoren in der Kommunikation eher heraus

Beispiel: Lächelnde Menschen, die sprechen. Fassen die Zuhörer die Inhalte anders auf, je nach Mimik des Sprechers? „Die Vermutung liegt nahe, dass Emotionen bei der Kommunikation eine große Rolle spielen“, erklärt Knoeferle. Im Labor konnten die Effekte der Mimik aber nur teilweise bestätigt werden.

Dafür kam ein anderer interessanter Fakt zum Vorschein: Jüngere Menschen reagieren stärker auf negative Gesichtsausdrücke, Ältere mehr auf positive. Woran mag das liegen? Möglicherweise filtern ältere Menschen äußere Faktoren einfach weg, die ihr Wohlbefinden beeinträchtigen, sagt Knoeferle. „Aber ob solche antrainierten Verhaltensstrategien wirklich verantwortlich sind für oft unbewusste Augenbewegungen, die sich binnen Millisekunden abspielen, das wissen wir noch nicht.“

Die neurolinguistische Forschung ist ein relativ junger Forschungszweig. Erst seit Anfang der 1980er Jahre haben Kognitionswissenschaftler begonnen, buchstäblich in die Köpfe der Menschen zu gucken. Seitdem haben sich die Messtechniken immer weiter verfeinert und auch die Sprachwissenschaften erobert. Heute ist es einerseits möglich, mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie aktive Hirnregionen sichtbar zu machen. Andererseits nutzen Sprachforscher EEG-Geräte, um Gehirnströme zu messen. Auch die Eye-Tracking-Verfahren, die schon seit Jahrzehnten eingesetzt werden, liefern mittlerweile viel genauere Ergebnisse als noch im 20. Jahrhundert. Kleinste Pupillenvergrößerungen und minimale Augenbewegungen können erfasst werden.

Motorik hilft beim Verstehen

Schleichend sind naturwissenschaftliche Methoden in die Linguistik eingesickert. „Früher hat sich die Linguistik vor allem mit Syntax, Semantik, Phonetik und Phonologie beschäftigt”, sagt Knoeferle – also mit Satzbau, Wortbedeutung, Lautkunde und Spracheigenschaften. Linguisten erforschten Sprache vor allem auf dem Papier, stellten komplexe Theorien über ihre Strukturen auf. Jetzt endlich können die formalen Modelle und Systeme im Labor überprüft werden.

Wie funktioniert Verstehen, was passiert beim Spracherwerb, welche Rolle spielt der Körper? Erste Antworten liegen vor: So konnten die amerikanischen Wissenschaftler Art Glenberg und Michael Kaschak durch eine Versuchsreihe nachweisen, dass sich körperliche Bewegungen tatsächlich auf das Sprachverstehen auswirken. Der Satz „Die Frau öffnet die Schublade“ wird schneller und besser verstanden, wenn der Zuhörer zugleich eine ähnliche Armbewegung ausführt – Hand hin zum eigenen Körper. Motorik, die Sprachinhalte spiegelt, macht das Verstehen leichter.

Knoeferle hat sich darauf spezialisiert, das Zusammenspiel von Sprachverstehen und visuellen Beobachtungen zu untersuchen. Wer „gezuckerte Pfannkuchen“ hört und gezuckerte Erdbeeren sieht, ist für einen Moment irritiert. Wie lange braucht der Mensch, um widersprüchliche Eindrücke zu sortieren? Und was wirkt stärker: das Bild, das ein Versuchsteilnehmer unmittelbar vor sich sieht – oder die Erwartungen im Kopf, die sich aus der Lebenserfahrung speisen?

Handlungskontext ist stärker als die “Bilder” im Kopf

Bei dem eingangs beschriebenen Versuch ging es genau um diese Frage. Bilder und Worte von Kuchen, von Männern, von Frauen – was ist inhaltlich richtig, was passt zusammen? Die Probanden ließen sich dabei von ihrem Wissen um Geschlechterstereotypen wenig ablenken; sie vertrauten den Informationen auf dem Bild. Knoeferle findet das hochinteressant: „Das zeigt, dass der unmittelbare Handlungskontext einen starken Einfluss auf die Sprachverarbeitung hat.“ Vermutlich ist dieser Einfluss sogar dominanter als die vorgefertigten „Bilder“ im Kopf.

Was Knoeferle und ihre Mitarbeiter betreiben, ist Grundlagenforschung. Doch je mehr Erkenntnisse die Psycholinguistik liefert, umso vielfältiger sind die zukünftigen Anwendungsmöglichkeiten. Vor allem im Hinblick auf Werbung, Marketing, Navigation oder Pädagogik – überall, wo Sprache und visuelle Informationen kombiniert werden. Deutschland sei auf dem Forschungsgebiet gut aufgestellt, sagt Knoeferle. Nicht nur an der Humboldt-Universität wird im Bereich Psycholinguistik, Neuro- und Kognitionswissenschaften geforscht, auch in Saarbrücken und Leipzig gibt es entsprechende Professuren.

Für Berlin hat Knoeferle zudem Expansionspläne. Sie bemüht sich derzeit darum, ein weiteres Labor einrichten zu können, das auch andere Wissenschaftler und Doktoranden nutzen könnten. Sie selbst arbeitet gerade an einem neuen Experiment. Diesmal geht es um das Verstehen von Gedichten, eine besondere Art von sprachlichem Kontext. „Aber da stehen wir noch ganz am Anfang.“

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