Deutschland

360-Grad-Blick auf die DDR und Osteuropa

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Deutschland hat international den Ruf, Weltmeister beim Aufarbeiten seiner Vergangenheit zu sein. Dabei werden im wahrsten Sinne des Wortes immer wieder Grenzen überschritten. Das ist unvermeidlich – und sinnvoll.

Der Name klingt ein wenig sperrig: Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Und sperrig ist zuweilen auch das, womit sich diese 1998 auf Beschluss des Deutschen Bundestages gegründete Einrichtung beschäftigt. Immerhin geht es um die Bewältigung einer fast 44 Jahre währenden kommunistischen Diktatur, die ohne Atempause nach der Nazi-Diktatur 1945 begann und erst nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 endete.

Ihren Namen verdankt die Stiftung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Sie entstand 1946 auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) durch die Zwangsvereinigung von Sozialdemokraten (SPD) und Kommunisten (KPD). Schon die Gründung war ein überwiegend unfreiwilliger Akt in jenem Teil Deutschlands, in dem 1949 die Deutsche Demokratische Republik (DDR) ausgerufen wurde, der aber in Wirklichkeit vom ersten Tag an eine Diktatur nach sowjetischem Vorbild war.

Informationen in 14 Sprachen

“Erinnerung als Auftrag” – so versteht die kurz “Bundesstiftung Aufarbeitung” genannte Institution ihre Aufgabe. Es geht darum, “die umfassende Aufarbeitung der Ursachen, Geschichte und Folgen der Diktatur in SBZ und DDR zu befördern, den Prozess der Deutschen Einheit zu begleiten und an der Aufarbeitung von Diktaturen im internationalen Maßstab mitzuwirken”. So steht es auf der deutsch- und englischsprachigen Homepage. Außerdem gibt es Informationen in 14 weiteren Sprachen.

“Wir waren unterdrückt”, sagt der Fotograf Harald Hauswald, von dem die Fotos der Ausstellung “Voll der Osten” stammen

Ein erster, flüchtiger Blick auf die Online-Seiten kann durchaus verwirrend sein – so vielfältig ist das Spektrum der Stiftung. “Voll der Osten – Leben in der DDR” heißt es da zum Beispiel. Das ist der Titel einer Fotoausstellung, die Anfang des Jahres in Berlin zu sehen war und in Form eines Poster-Sets für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit bei der Stiftung bestellt werden kann. Die Alltagsszenen aus einem verschwundenen Land stammen von Harald Hauswald, die ergänzenden Texte vom Historiker und Leiter des DDR-Museum, Stefan Wolle.

Auf der Suche nach dem persönlichen Glück

Diese Art des eher unspektakulären Blicks auf den unfreien Osten Deutschlands kann zuweilen sogar mehr über das Wesen einer Diktatur vermitteln als manche akademische oder soziologische Debatte. Auch dazu lädt die Stiftung Aufarbeitung regelmäßig ein, um mit Zeitzeugen und Nachgeborenen über Themen wie “Mauerfall – verdammt lang her?” zu reden. Dabei handelt es sich um Projekte junger Menschen zur Geschichte des “antifaschistischen Schutzwalls”, wie die innerdeutsche Grenze im SED-Jargon hieß.

Wo im Logo der Stiftung Aufarbeitung ein Loch ist, waren bei der DDR-Flagge Hammer, Zirkel und Ährenkranz

Doch trotz Mauer und Stacheldraht, fehlender Reisefreiheit und Luxusgüter versuchten 17 Millionen Menschen in der DDR, ihr ganz persönliches Glück zu finden. Auch die von der SED in Anspruch genommene Allmacht hatte ihre Grenzen. Wie brüchig das System letztlich war, zeigte sich in der rasend schnellen friedlichen Revolution 1989. Damals versank eine Diktatur, die am 7. Oktober noch ihre 40-jährige staatliche Existenz gefeiert hatte. Kein Jahr später feierten die Deutschen ihre schwarz-rot-goldene Wiedervereinigung. 

Die DDR aus allen Perspektiven zu beleuchten, den 360-Grad-Blick zu wagen ist typisch für die Arbeit der Stiftung, zu deren treibenden Kräften der letzte und einzige frei gewählte Außenminister dieses Landes gehört: Markus Meckel. Die in Deutschland lange verdrängte Aufarbeitung der Nazi-Diktatur habe “viele problematische Folgen” gehabt, sagt er. Deshalb sei man sich bewusst gewesen, wie wichtig die schnelle und umfassende Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit sei. “Und zwar für das ganze Land”, fügt der Sozialdemokrat hinzu.

Letzter DDR-Außenminister: Markus Meckel

Stasi im Osten – und im Westen

Damit spielt Meckel auf die im Westen Deutschlands noch immer anzutreffende Meinung an, die DDR-Diktatur sei ein rein ostdeutsches Thema. Ein Befund, der besonders für das Megathema Stasi gilt. Denn das Ministerium für Staatssicherheit richtete sein von Misstrauen geprägtes Augenmerk zwar vor allem auf die eigene Bevölkerung, hatte aber stets auch den erklärten Klassenfeind auf der anderen Seite der innerdeutschen Grenze im Visier. Ihn als Ausbeuter und Kriegstreiber zu diskreditieren gehörte zum Standard-Repertoire.

Wie weit der Stasi-Arm in den Westen reichte, zeigte sich am eklatantesten in der Affäre um den Spion Günter Guillaume. Ihm war es gelungen, zum  persönlichen Referenten von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) aufzusteigen. Die Enttarnung des hochrangigen Stasi-Offiziers löste 1974 in der alten Bundesrepublik eine Regierungskrise aus und mündete in Brandts Rücktritt. Damit brachten die Machthaber der SED-Diktatur ausgerechnet den Mann zu Fall, der mit seiner Entspannungspolitik die Ost-West-Annäherung in Deutschland und Europa ermöglicht hatte.     

Stasi-Spion Günter Guillaume (l.) war einer der engsten Vertrauten Willy Brandts, der 1974 als Bundeskanzler zurücktrat

Wer war Erich Honecker?

Junge Menschen wüssten heute mitunter nicht, wer der Friedensnobelpreisträger Willy Brandt gewesen sei oder der SED- und Staatschef Erich Honecker, bedauert Markus Meckel. Dabei sei es wichtig, “unsere spannungsreiche Vergangenheit zu kennen, um uns selber besser zu verstehen”, sagt der Vorsitzende des Stiftungsrats der Bundesstiftung Aufarbeitung. Beim Blick zurück geht es ihm aber auch darum, “gegenwärtige Fragen und Herausforderungen besser zu bewältigen”.

Wie fragil demokratische Gesellschaften knapp 30 Jahre nach dem Ende des Ost-West-Konflikts immer noch oder schon wieder sind, lässt sich am Erstarken links- wie rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien quer durch Europa beobachten. Auch deswegen hält Meckel die Aufarbeitung der SED-Diktatur für eine Aufgabe, “die sich immer wieder neu stellt”. Dieser Aufgabe widmet sich die Bundesstiftung seit ihrer Gründung mit zahlreichen Partnern im In- und Ausland. Entsprechend international ausgerichtet sind viele ihrer Veranstaltungen und Publikationen. 

Der SED-Vorsitzende Erich Honecker (l.) und der Chef des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi), Erich Mielke

Fundgruben: “dissidenten.eu” und “kommunismusgeschichte.de”

Zu den Schwerpunkten 2018 gehört 50 Jahre nach seiner Niederschlagung der Prager Frühling. Einzigartig dürfte der Bildband “Museen und Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktaturen” sein, in dem 119 Gedenkorte in 35 Ländern weltweit dokumentiert sind. Wahre Fundgruben sind das biografische Lexikon “dissidenten.eu” zu Opposition und Widerstand in Osteuropa sowie das 2017 anlässlich des 100. Jahrestages der russischen Oktober-Revolution freigeschaltete Portal “kommunismusgeschichte.de”.

Zwei von vielen aufwändigen Projekten, mit denen die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur versucht, “das öffentliche Bewusstsein über die kommunistische Gewaltherrschaft zu befördern”, wie es auf ihrer Homepage heißt. Anlässlich des 20jährigen Bestehens findet am Mittwoch (17. Oktober) in Berlin ein Festakt mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier statt. Die friedlichen Revolutionen 1989 werden dann auch von höchster Stelle als das gewürdigt, was sie sind: herausragende Ereignisse in der deutschen und europäischen Demokratiegeschichte. 

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